Der Amerika-Flüsterer

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„DIE AMERIKANISCHEN UNIVERSITÄTEN SIND BEI DEN ZUKUNFTSTHEMEN WESENTLICH STÄRKER AUFGESTELLT.“

Die Staufen AG sprach mit Prof. Dr. h. c. Martin Richenhagen. Der deutsch-amerikanische Manager war von 2004 bis 2020 CEO der AGCO Corporation und sitzt heute u.a. in den Aufsichtsräten von Linde, Stihl und Daimler Truck. Der gebürtige Kölner lebt in den USA und besitzt seit 2011 auch die amerikanische Staatsbürgerschaft.

Herr Professor Richenhagen, Ihre Biografie trägt den Titel „Der Amerika-Flüsterer“. Wem mussten Sie in Ihrer Zeit als Manager – unter anderem 2004 bis 2020 CEO des US-Konzerns AGCO – mehr einflüstern, den Amerikanern oder den Deutschen?

Der Titel ist natürlich etwas übertrieben und stammt auch nicht von mir, sondern vom Verlag. Denn es war ja nicht meine vorderste Aufgabe, Amerika oder Deutschland zu „beflüstern“. Aber ich äußere mich zu transatlantischen Themen, wenn dies gewünscht ist. Ich versuche dabei stets, Dinge zu erklären und zwischen den zwei Welten zu vermitteln. Früher als CEO und heu­te als Chairman des Think Tank American Institute for Contempo­rary German Studies (AICGS) in Washington.

Haben Sie ein Beispiel für solche Vermittlungs-aktivitäten?

Als der heutige Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier als damaliger Außenminister in Washington war, konnten wir ihn dazu bewegen, auch nach Atlanta zu kommen, um sich dort eine Universität und zwei Schulen anzusehen. Am Ende des Tages war klar zu merken, dass sich sein bisheriges Urteil über das amerikanische Bildungssystem stark verändert hatte.

Tesla in Grünheide, bald Intel in Magdeburg – ist Deutschland aktuell der Lieblingsstandort für US-Großinvestitionen?

Die amerikanische Wirtschaft hat schon immer gern in Deutsch­land investiert. Es ist für US-Firmen ein solider Standort mit ähnlichen rechtlichen Rahmenbedingungen. Nur die Mitbestim­mung in deutschen Betrieben muss man den Amerikanern etwas erklären.


Könnten die transatlantischen Wirtschaftsbeziehungen durch die derzeitigen geopolitischen Verwerfungen gestärkt werden?

Das glaube ich schon. Die Amerikaner hatten ja gegenüber Russland immer schon eine deutlich distanziertere Haltung als beispielsweise Deutschland. Die Abhängigkeit von russischen Pipelines oder der Verkauf von deutschen Gasspeichern an Gaz­prom konnte dort nie jemand nachvollziehen.

Während die USA mit Tech-Konzernen wie Apple, Amazon, Google und Meta weltweit den Takt vorgeben, steht Deutschland nach wie vor eher für die klassische Industrie. Reicht das für die Zukunft?

In Branchen wie dem Maschinenbau oder der Automobilindus­trie haben die Deutschen immer noch eine gewisse Stärke, ja sogar Überlegenheit. Aber das bröckelt. Es ist schon bemerkens­wert, wie ein so starker Automobilstandort wie Deutschland von einem Newcomer wie Tesla abgehängt werden konnte. Und es rücken jede Menge zusätzliche Wettbewerber nach – vor allem aus China.

Wo müsste aus Ihrer Sicht umgesteuert werden?

Es geht vor allem um die Ausbildung. Die amerikanischen Uni­versitäten sind bei den Zukunftsthemen wesentlich stärker aufgestellt. Außerdem spielt die Finanzierung von Start-ups eine entscheidende Rolle. So haben wir kürzlich das Start-up Axios, bei dem ich Chairman bin, in New York an die Börse gebracht, obwohl die Gründer Deutsche sind.

Ist das Megathema Nachhaltigkeit eine Chance für Deutschland, sich als weltweiter Vorreiter zu positionieren?

Zumindest begründen die Grünen die restriktiven Eingriffe in die Industrie mit der Aussicht auf die Entwicklung von Know-how und neuen Wirtschaftszweigen. Und die Deutschen sind hier in gewissen Bereichen in der Tat schon ganz gut. Daher hoffe auch ich, dass das eine Chance für Deutschland ist.

Zurück zum transatlantischen Verhältnis. Wäre es nicht klug, wenn die USA und Europa eine gemeinsame China-Strategie entwickeln würden?

Wir haben es ja noch nicht einmal geschafft, ein Handelsabkom­men zwischen den USA und Europa hinzubekommen – Stichwort TTIP. Ich war damals als Chairman der Deutsch-Amerikanischen Handelskammer involviert. Als Präsident Obama bereit war, TTIP zu unterschrieben, haben wir ein Treffen zwischen ihm und Bundeskanzlerin Merkel auf der Hannover Messe koordiniert. TTIP ist nicht an den Amerikanern, sondern an den Deutschen gescheitert.

Ich glaube aber trotzdem, dass wir die Chance wahrnehmen müssen, wieder stärker mit den Amerikanern ins Gespräch zu kommen. Eine gemeinsame China-Strategie? Den Versuch wäre es wert.

Was muss sich denn in der amerikanischen politischen Kultur ändern?

Es gibt zu wenige qualifizierte und charismatische Politiker mit Leadership-Potenzial. Zudem haben wir in Deutschland keine Tradition, Sachen in der Tiefe verstehen zu wollen, um dann vernünftig darüber sprechen und eine gemeinsame Lösung angehen zu können. Stattdessen gibt es eine „Talkshow-Kultur“. Dort sitzen meist dieselben Leute, die immer dieselben Themen wiederkäuen. Das ist doch kein politisches Engagement!

Der Untertitel Ihres Buches lautet „Mein Weg vom deutschen Religionslehrer zum US-Topmanager“. Brauchen wir mehr Menschen mit solchen Lebensläufen?

Ich habe immer gern Leute mit breiterer Erfahrung eingestellt. Es kommt aber immer darauf an, was der- oder diejenige ge­macht hat. Also nicht drei Jahre Sabbatical nach dem Abitur, sondern beispielsweise eine Selbstständigkeit schon während des Studiums. Und zwar unabhängig davon, ob die Firma es wirtschaftlich geschafft hat oder nicht. Die Amerikaner gehen mit dem Thema übrigens ganz anders um. Hier bedeutet eine Pleite nicht gleich das Karriereende.

Zum Schluss: Was ist Ihr wichtigster Rat an die aktuelle Managergeneration?

Niemals aufhören zu lernen. Mache ich auch nicht, obwohl ich dieses Jahr 70 werde. Nehmen Sie das Beispiel Axios, über das ich schon gesprochen habe. Das Thema fleischlose Ernährung liegt doch praktisch auf der Straße. Hier müssten wir in Deutsch­land noch kreativer werden. Aber noch stehen in Deutschland die Risiken an erster Stelle, während es in den USA die Chancen sind.

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Magazinartikel über Prof. Dr. h. c. Martin Richenhagen

Der Amerika-Flüsterer

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