Zu Gast im Future Work Lab am Fraunhofer IAO in Stuttgart
Um 9 Uhr morgens treten wir durch die Tür des Fraunhofer IAO hinein in die Arbeitswelt der Zukunft. Wir durchlaufen einen Parcours mit zahlreichen Stationen, die die Industriearbeit der Zukunft in ihrer Breite erlebbar machen. An einer Roboterstation wird gezeigt, wie Mensch und Maschine Hand in Hand gefahrlos miteinander arbeiten. Das perfekte Zusammenspiel von Mensch und Technik erfahren die Teilnehmer auch an einer sehr futuristisch aussehenden Arbeitsstation, die sich individuell den aktuellen Bedürfnissen des jeweiligen Nutzers anpasst.
Die Besucher lernen zudem, wie ältere Maschinen mit Retrofitting Industrie-4.0-tauglich werden oder wie mehrere Maschinen gleichzeitig über Smartwatches gesteuert werden können. Sie erleben, wie die Arbeit mit sich selbst organisierenden Teams über Plattformen gestaltet und wie Unfälle mithilfe von Sensoren besser vermieden werden können. Manches klingt noch nach ferner Zukunft, vieles steht aber schon kurz vor dem Einsatz in der Praxis.
„Das große Interesse der Unternehmen am Future Work Lab zeigt, dass die Menschen neugierig sind. Dass sie verstehen wollen, was auf sie zukommt“, sagt Moritz Hämmerle. „Uns geht es hier unter anderem auch darum, Ängste abzubauen. Zu zeigen: Welche Rolle habe ich als Mensch in der Arbeitswelt der Zukunft? Welche Qualifikationen sind gefragt? Aber auch: Wie kann die Arbeitswelt in der Zukunft einfacher und besser werden?“
Fragen, auf die natürlich vor allem in den Unternehmen selbst die Antworten gegeben werden müssen. Nicht nur in geschlossenen Konferenzräumen auf der Führungsetage. „Das Thema Zukunft der Arbeit gehört auf den Shopfloor“, so der Fraunhofer-Experte, „Mitarbeiter und Management müssen den Weg in die neue Arbeitswelt gemeinsam gehen. Nur dann wird er von Erfolg gekrönt sein.“
Sie bemängeln beim Thema Industrie 4.0 eine Informationsentkopplung. Warum macht Ihnen das Sorgen?
Hämmerle: Manche Unternehmen sind immer noch der Meinung, die Industrie 4.0 sei eine Vision für die weit entfernte Zukunft. Das ist sie nicht. Sie ist im hier und heute angekommen. Die Unternehmen stehen jetzt vor der Herausforderung, neue Technologien für betriebliche Prozesse einzuführen. Und dabei müssen sie auch die Mitarbeiter mitnehmen. Veränderungen sind nur dann erfolgreich, wenn sie positive wirtschaftliche Effekte haben und wenn sie von der Belegschaft mitgetragen werden. Zusammengefasst: Wer Digitalisierungsprojekte angeht, ohne die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einzubinden, wird grandios scheitern.
Ganz konkret: Wie können Unternehmen diese Informationsentkopplung vermeiden?
Pokorni: Wie man seine Belegschaft mit auf die Reise in die digitale Zukunft nehmen kann, zeigt beispielsweise Festo. Das Unternehmen veranstaltet in seinem Werk unter anderem eine Schnitzeljagd zum Thema Industrie 4.0. Dabei werden die Mitarbeiter auf vielfältige Weise an die neue Welt herangeführt. Wir hier am Fraunhofer IAO haben auch ein Planspiel für Unternehmen entwickelt – für alle Mitarbeiter bis hin zum Vorstand. Ziel ist es, die Menschen zu befähigen, eine aktive Rolle im Wandel zu übernehmen. Unsere Erfahrung ist, die Menschen öff nen sich dem Thema, weil sie sehen, dass die Zukunft vielleicht doch gar nicht so schlecht wird, wie sie sich diese vorgestellt haben. Wer Interesse an diesem Spiel – Akteure 4.0 – hat, kann sich gerne bei uns melden.
Wie lauten Ihre Empfehlungen an die Unternehmen?
Hämmerle: Den ersten Schritt haben wir eben beschrieben. Nach der Sensibilisierung folgt dann im zweiten Schritt ein erster Anwendungsfall als Leuchtturmprojekt, über den breit berichtet wird. Im dritten Schritt sollten die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer rein in die aktive Rolle. Gemeinsam mit ihnen können Anwendungsfälle identifiziert und entwickelt werden. Dafür brauchen die Mitarbeiter auch Freiheitsgrade. So lernen sie beispielsweise, was es für ihre tägliche Arbeitsorganisation heißt, wenn sie in der Qualitätssicherung mit einer Datenbrille statt mit Papier und Bleistift arbeiten. Und auch bei älteren Arbeitnehmern bauen sich die Vorbehalte schnell ab, wenn sie sehen, was so eine neue Technologie für Vorteile und Mehrwert bringt.
Ihrer Erfahrung nach: Haben es Mittelständler besonders schwer, die Digitalisierung voranzutreiben?
Pokorni: Wir sprechen hier im Future Lab nicht nur mit großen Konzernen, sondern auch mit ganz vielen KMUs. Insgesamt stellen wir fest, dass der Speed und die Bereitschaft, in das Thema einzusteigen, in vieler Hinsicht immer noch sehr verhalten ist. Sie sehen die Chancen noch nicht. Und da die Auftragsbücher voll sind, fallen solche strategischen Themen ergänzend zum Tagesgeschäft unter den Tisch. Wer seine eigene Zukunft sichern will, muss jedoch den Weg in die digitale Welt mit neuen Geschäftsmodellen gehen – und zwar jetzt. Ich würde mir wünschen, dass die Unternehmen ein bisschen mehr Mut und Innovationsgeist zeigen.
Was möchten Sie den Unternehmenschefs noch mit auf den Weg geben?
Hämmerle: Es reicht nicht, einfach Technologien zu kaufen. Unternehmen müssen auch ihre Organisation transformieren und weggehen von zentralistischen Strukturen, damit die Digitalisierung ein Erfolg wird. Zu schauen, wie man in Zukunft zusammenarbeitet und es schafft, ein innovationsfreundliches Umfeld aufzubauen, ist ein zentrales Thema.
Pokorni: Über die neuen Techniken entstehen ganz neue Möglichkeiten, Arbeit anders zu organisieren, sie flexibler und vernetzter zu machen, als das in den vereinzelten Unternehmen von heute möglich ist. Es ist durchaus denkbar, auch mal ein Scrum-Team auf dem Shopfloor zu etablieren. Ich bin überzeugt, das kann funktionieren! In den Fabriken werden gerade die Bänder abgeschafft, die Arbeit von morgen erfolgt taktlos und flexibel. Dazu gehören doch dann auch Mechanismen der Selbststeuerung und der Agilität in den Werkhallen! Das erwartet nicht zuletzt die junge Generation und es macht die Fabriken schneller und wendiger.
Das große Interesse der Unternehmen am Future Work Lab zeigt, dass die Menschen neugierig sind. Dass sie verstehen wollen, was auf sie zukommt.