Warum Komplexität vom Theorieproblem zur Vertrauenslösung werden sollte
Von kaum einer Eigenschaft – v. a. von ihrer Zunahme – ist so häufig in Veröffentlichungen zu lesen und in Vorträgen zu hören wie von der Komplexität. Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, meine sehr geehrten Leserinnen und Leser, aber ich treffe in letzter Zeit immer öfter auf Menschen, die mir entweder resignierend vermitteln, dass man die (Zunahme von) Komplexität sowieso nicht aufhalten könne – man füge sich am besten in sein Schicksal –, oder mich mit leicht aggressivem Unterton dazu auffordern, nun endlich etwas „gegen“ die Zunahme zu unternehmen – sie sei ja „manageable“.
Wir (wer immer das in dem Moment auch sei) seien alle dazu aufgerufen, uns möglichst schnell um die Beherrschung von Komplexität zu kümmern. Nur das permanente Managen von Komplexität sei der Weg in eine erfolgreiche Zukunft. Erkennen Sie die Situation wieder?
Mich machen solche Gespräche zuweilen ärgerlich, nämlich immer dann, wenn ich den Eindruck gewinne, dass mich mein Gegenüber möglicherweise manipulieren will und mich für den Zustand verantwortlich machen möchte, der mir als bedrohlich illustriert wird.
Aber gehen wir es strukturiert an und denken zuerst einmal über das Wort Komplexität an sich nach. Allein die Vielfalt der Definitionen, die mir bei meiner Recherche zum Begriff begegneten, festigte meine Vermutung, dass nicht wenige, die ihn benutzen, nicht so genau wissen können, wovon sie reden. Ausgesuchte Wissenschaften, ob Mathematik oder Physik, ob Biologie oder Chemie, mühen sich seit Jahrzehnten, eine dichte Definition zu geben. Unabhängig von diesen Wissenschaften existieren weitere Definitionen des Begriffs, wie der der „Systemkomplexität“ in der Literatur.
Sie werden das Nicht-Triviale erkennen, wenn Sie die Autoren studieren: Klaus/Liebscher (1976), Luhmann (1980), Ulrich/Probst (2001), Willke (2006) und Schuh (2017). Die unterschiedlichen Definitionen aus Wissenschaft und Literatur haben jedoch alle eine Gemeinsamkeit. Sie münden in mindestens drei Kategorien, die über die Beherrschbarkeit des Systems Auskunft geben: einfache, komplizierte und komplexe Systeme. In komplexen Systemen (Dave Snowden definiert in diesem Bereich mit seinem Cynefin-Framework zusätzlich das chaotische System) sind die Kausalitäten nicht offensichtlich.
Somit sind Vorhersage, Planbarkeit und Kontrolle ausgeschlossen. Wir halten also fest: Es gibt offensichtlich einen Bereich in unserer Umwelt, in dem Dinge passieren, die wir nicht erklären können, Gründe für Abläufe, die außerhalb unserer Erkenntnis liegen. „Trivial!“, mögen Sie jetzt ausrufen. Was ist also das Problem bei der Verwendung des Begriffs Komplexität? Die kurze Antwort: Wenn durch die Verwendung des Fachbegriffs eine Situation erzeugt wird, in der der Angesprochene nach dem Prinzip „Take flight or fight!“ reagiert, wissen wir aus der Psychologie, dass die beiden Reaktionen ungünstig sind. Beide, Resignation und Angriff, resultieren aus Stresssituationen – sie beeinträchtigen den klaren Verstand. Werfen wir einen differenzierten Blick auf den Gebrauch des Begriffs und versuchen wir zu verstehen, welche Wirkung von ihm ausgehen kann.
Die Herausforderungen starten mit der Reflexion des eigenen Unwissens zum Thema. Sie erinnern sich an die aristotelische intellektuelle Redlichkeit, dass man weiß, wovon man redet, wenn man etwas sagt. Ich finde, derjenige, der das Wort Komplexität benutzt, muss sich die Frage gefallen lassen: „Wovon reden Sie eigentlich? Was meinen Sie denn eigentlich?“ Benutzen Sie das Wort nicht, wenn sie „kompliziert“ meinen. Dazu kommt das Empfänger-Sender-Problem. Nicht der Sender bestimmt die Nachricht einer Botschaft, sondern (auch) der Empfänger. Ich sollte also den Anspruch haben, Bedeutungsdifferenzen zu klären, wenn ich vermute, dass ich nicht verstanden werde.
Erst nachdem geklärt wurde, wer sich von welcher Komplexität betroffen fühlt, ist die Frage sinnvoll, wie mit Komplexität umgegangen werden sollte.
Frank Krause
senior partner, staufen.ag
Es kommt noch schlimmer! Ganz schlecht macht es sich, wenn der Angesprochene den Eindruck hat, gar nicht von Komplexität betroffen zu sein. Richtig – Komplexität ist subjektiv! Die Frage lautet also: Mit welchem Recht schließe ich von meiner Unwissenheit auf die des oder der anderen? Das, was für mich komplex ist, kann für andere einfach oder kompliziert sein und umgekehrt. Erst nachdem geklärt wurde, wer sich von welcher Komplexität betroffen fühlt, ist die Frage sinnvoll, wie mit Komplexität umgegangen werden sollte. Der Anspruch, das mit ihr umgangen werden sollte und dieser Umgang erfolgreich sein sollte, verbietet jedoch jegliche Schicksalsrhetorik. Komplexität ist eben kein Schicksal. Nur weil der Weg auf der Suche nach der Wahrheit mit Irrtümern und Enttäuschungen gepflastert ist, sollte man die Suche nicht aufgeben.
Dazu sollte eine Ansprache in der ersten Person Plural vermieden werden. „Wir sollten …“, „Wir müssten …“ – da frage ich mich dann, wer ist mit „Wir“ eigentlich gemeint? Wir Deutsche, wir Europäer, die gesamte Welt? Bleiben Sie auf dem Teppich und schätzen Sie ihre Möglichkeiten redlich ein. Sie merken es: Die schnellste Art, jemanden in die Flucht zu schlagen oder zum Angriff übergehen zu lassen, ist, ihn in eine Gruppe der Unwissenden zu integrieren, ihm mit einer schlechten Definition zu erklären, was er nicht verstanden hat, und ihn am Ende in der Ausweglosigkeit mit Kontrollverlust allein zu lassen. So rufe ich allen „Liebhabern“ von Komplexität zu: Hören Sie damit auf! Es erzeugt keine Motivation für das Thema.
Die Lösung liegt in der personalen Kommunikation. Sie stellt Vertrauen her. Warum ist Vertrauen gerade bei diesem Thema so wichtig? Bei der Lösung von komplexen Fragestellungen sind Sie darauf angewiesen, dass Ihre Zuhörer genau dann anfangen, ihr Unwissen mit positiven Spekulationen zu ergänzen, wenn die von Ihnen angebotenen Informationen nicht mehr „tragen“. Man muss Ihnen glauben können – etwas für wahr halten, was Sie in dem Moment nicht (sofort) beweisen können. Solange die Ergebnisse Ihrer Experimente auf dem Weg zur Erkenntnis, zum dichten Wissen über einen zukünftigen Zustand, noch unsicher sind, bleibt Ihnen nur dieser Erfolgsfaktor. Deshalb ist die Bewältigung von Komplexität am Ende eine Frage des Vertrauens und nicht eine Frage der Information.
Reinhören!
Podcast Episoden mit Frank Krause
Begleiten Sie unseren Senior Partner, Frank Krause, in seiner Podcast-Serie ‚Denkanstoß‘ auf seinem Weg durch den Themendschungel, welcher ihm in seinem Berateralltag begegnet und lassen Sie sich anregen, Ihr Verständnis zu ausgesuchten Fragestellungen zu überprüfen. Er lädt Sie dazu ein, mit ihm gemeinsam über aktuelle Begriffe, Themen und Ideen nachzudenken. Metaphorisch gesprochen, den Wald und seine Bäume erkennen, das ist das Ziel der Podcast-Reihe.
staufen kolumne:
Wer hätte es gedacht?
ist Komplexität unser schicksal?
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