Was haben das Bundeskanzleramt in Berlin, das Van-Gogh-Museum in Amsterdam oder auch das Shangri-La-Hotel in Shanghai gemeinsam? Sie alle setzen bei ihrer Gebäudetechnik auf Lösungen aus dem Sauerland.
Dort in Schalksmühle entwickelt und produziert die Firma Albrecht Jung seit mehr als 100 Jahren preisgekrönte Innovationen rund um die Steuerung von Beleuchtung, Jalousien, Klimaanlagen sowie Sicherheits- und Kommunikationstechnik. Mit seinem neuen Entwicklungszentrum unterstreicht der Mittelständler, dass Agilität bei Jung kein Hype ist, sondern eine Haltung.
Wenn Stefan Jörgens von den neuen SCHUKO®-Steckdosen mit integrierten USB-Buchsen erzählt, gerät der Entwicklungschef des Sauerländer Premium-Anbieters Jung regelrecht ins Schwärmen. Klar, auch über das in diesem Jahr erstmals präsentierte Produkt, aber fast noch mehr über die Art und Weise, wie es entstanden ist. „Viele haben es uns nicht zugetraut, dass wir Mechanik, Elektronik und Software komplett intern integriert bekommen“, so der Diplom- Ingenieur, der seit 2011 der F+E-Abteilung vorsteht. Das Erfolgsgeheimnis: Erstmals setzte Jung bei einer mechatronischen Produktentwicklung gezielt auf Agilität. „Das Team hatte alle Freiheiten“, verrät Jörgens. „Dennoch haben wir nicht einfach das agile Manifest eins zu eins umgesetzt, sondern Agilität immer als eine logische Weiterentwicklung unseres bisherigen F+E-Werkzeugkastens auf der Basis eines Lean-Development-Ansatzes begriffen.“
Geschäftsführer Martin Herms sieht in diesem Pilotprojekt in Sachen Agilität ein gutes Beispiel für den typischen „Jung-Weg“: „Wir haben gelernt, uns und unsere Methoden ganz gezielt zu hinterfragen und dabei immer alle Beteiligten – also Mitarbeitende, Führungskräfte und Gesellschafter – von Anfang an mit einzubinden.“ So war es auch vor nunmehr rund 10 Jahren. Zusammen mit Dr. Andreas Romberg von der Staufen AG setzte Jung sein Innovationsmanagement komplett neu auf. „An Kreativität hat es Jung nie gemangelt, aber 200 parallele Entwicklungsprojekte haben damals die Pipeline schlicht verstopft“, erinnert sich Romberg. „Am Anfang ging es mir zugegeben manchmal nicht schnell genug, aber der typische Jung-Ansatz hat am Ende dafür gesorgt, dass die Lean-Development- Methoden sehr nachhaltig im Unternehmen verankert wurden.“
„Die Veränderung der Innovationskultur ist eine Langstrecke“
Von dieser Entwicklung profitieren mittlerweile auch andere. Denn als Best-Practice-Partner der Staufen AG teilt Jung seine Erfahrungen regelmäßig mit Unternehmen, die mit ihren Innovations- und Entwicklungsprozessen noch ganz am Anfang der Reise von Lean über Digitalisierung bis hin zur Agilität stehen. Wer von Herms, Jörgens und Co. allerdings Patentrezepte erwartet, hat nicht verstanden, um was es wirklich geht. „Macht Euch auf den Weg, über Eure ganz eigene Innovationskultur nachzudenken“, rät Jung- Geschäftsführer Herms allen Lean-Development-Novizen. „Es geht darum, eine Haltung auf das eigene Unternehmen zu transferieren, und nicht darum, eine Lösung möglichst genau zu kopieren. Die Veränderung der Innovationskultur ist eine Langstrecke.“
Jung selbst hat mit dem im vergangenen Jahr abgeschlossenen Umbau des Entwicklungsbereichs längst die nächste Etappe erreicht. „Wer seine Prozesse und Tools hinterfragt, kommt irgendwann an den Punkt, an dem er sich fragt, ob sich nicht auch die Arbeitsumgebung verändern muss“, fasst F+E-Leiter Jörgens die Motivation für die räumliche Neugestaltung zusammen. Und auch bei diesem Schritt waren die Mitarbeiter wieder von Beginn an dabei. So gehen viele Features der neuen Arbeitswelten – z. B. die magnetischen und beschreibbaren Wände in den Team- und Projekträumen – auf ihre Anregungen und Wünsche zurück. Zusammen mit Organisationsentwicklern und Raumplanern wurde dann die Balance zwischen Offenheit und Transparenz auf der einen sowie Ruhe und Konzentration auf der anderen Seite in eine beeindruckende Raumsprache übersetzt.
Räumliche Neugestaltung
„Agilität bedeutet Disziplin“
Trotz der „bombastisch positiven Resonanz“ (F+E-Leiter Jörgens) auf die neuen Räume wird Jung-Geschäftsführer Herms nicht müde, daran zu erinnern, dass Agilität vor allem Disziplin bedeute. Zudem müssten vorher die kulturellen Grundlagen geschaffen sowie eine absolute Kundenorientierung etabliert werden, damit Konzepte wie Lean oder künftig auch Agilität ihre Stärken ausspielen könnten. Herms klare Botschaft: „Kulturarbeit vor inhaltlicher Arbeit!“
Nochmal zurück zu den USB-SCHUKO®-Steckdosen, die dank Quick Charge beispielsweise ein iPhone 11 in gut 100 Minuten zu 100 Prozent aufladen, ohne die Steckdose dabei mit einem Ladegerät zu blockieren. Wäre ein solch neues Produkt ohne die bisherige „Reise“ von Jung denkbar gewesen? Entwicklungsleiter Stefan Jörgens: „Wir haben uns durch die Art, wie wir entwickeln, die Freiräume geschaffen, darüber nachzudenken, was wir entwickeln.“ Und Martin Herms ergänzt: „Wir haben immer ganz bewusst den gesamten Innovationsprozess in den Blick genommen. Wie kommen wir auf die richtigen Ideen und wie bringen wir die richtigen Menschen zusammen, um aus diesen Ideen Innovationen und letztendlich marktreife Produkte zu machen.“