Interview mit Prof. Dr. Dietmar Fink
Prof. Dr. Dietmar Fink ist Inhaber der Professur für Unternehmensberatung an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg und Direktor der Wissenschaftlichen Gesellschaft für Management und Beratung in Bonn. Als Gastprofessor forschte und lehrte er zudem viele Jahre an der Universität Oxford. Professor Fink gilt als anerkannter, aber auch kritischer Begleiter der Beraterszene. Seit 20 Jahren steht er Firmen wie McKinsey, Bain, BCG, Accenture und vielen anderen als Sparringspartner zur Seite. Er ist Autor mehrerer Bücher sowie zahlreicher Artikel und Kommentare in der Tages-, Fach- und Wirtschaftspresse.
Herr Prof. Fink, für die Studie „Best Strategy 2018“ wurden mehr als 200 deutsche Weltmarktführer nach ihren Erfolgsfaktoren befragt. Gibt es aus Ihrer Sicht so etwas wie ein Weltmarktführer-Gen?
Ein Weltmarktführer-Gen wäre eine tolle Sache, ich befürchte aber, das gibt es nicht. Was es gibt, das sind bestimmte Branchen, in denen gerade solche Kompetenzen und Tugenden gefragt sind, die der deutschen Mentalität sehr gut entsprechen. Wenn es darum geht, technische Innovationen zu erdenken und diese mit großer Präzision und handwerklichem Geschick umzusetzen, dann harmoniert das gut mit dem deutschen Naturell. Überall dort, wo Innovation aus Forschungsarbeit entsteht, wo deutsche Techniker neue Produkte erfinden und neue Patente anmelden können.
Dort haben wir eine hervorragende Leistungsbilanz vorzuweisen.Wenn es um andere Dinge geht, um Schönheit und Ästhetik zum Beispiel, dann scheint uns das nicht unbedingt in die Wiege gelegt worden zu sein. Nicht umsonst kommen deutsche Unternehmen auf den Weltmärkten der Mode- und Luxus-Labels nicht recht voran. Deutschland ist das Kernland des Protestantismus und der Ingenieurskunst, nicht des Savoir-vivre. Wenn überhaupt, dann haben wir so etwas wie ein Maschinenbau-Gen. In vielen Branchen verhilft uns genau diese Konstellation – solide Konstruktion, präzise Fertigung, kein Chichi – zu überragenden Leistungen. Und zu unserem Glück sind das zumeist Branchen, denen eine erhebliche ökonomische Bedeutung zukommt.
Kann es auch gefährlich sein, sich als Weltmarktführer zu verstehen? Macht eine solche Position im schlimmsten Fall arrogant und träge?
Arroganz und Trägheit gilt es natürlich um jeden Preis zu vermeiden. Ich glaube aber, dass es wichtig ist, die Welt so zu sehen, wie sie wirklich ist. Wenn das bedeutet, dass man ein Weltmarktführer ist, dann muss man sich auch als Weltmarktführer verstehen. Tut man das nicht tut, läuft man schnell Gefahr, seine Position zu verspielen. Aus einer führenden Rolle müssen zudem nicht zwangsläufig Arroganz und Trägheit resultieren. Wenn man sich die gebührende Zeit nimmt, die eigene Unternehmenskultur aktiv zu gestalten, dann ist eine Führungsposition die beste Quelle für Selbstvertrauen und Agilität.
Wie können es Unternehmen schaffen, sich trotz ihres Erfolgs immer wieder zu hinterfragen und bei Bedarf auch neu zu erfinden?
Das ist eine Aufgabe, die sich durch die gesamte Organisation zieht. Die Verantwortung liegt jedoch in den Händen der obersten Führungsebene. Sie muss eine Kultur etablieren, in der es nicht nur erlaubt, sondern sogar gewünscht ist, bestehende Strategien und Strukturen zu hinterfragen. Dazu muss sie der Belegschaft Orientierung geben, indem sie selbst immer wieder neue Wege aufzeigt und die permanente Suche nach neuen Wegen auf allen Ebenen des Unternehmens anregt. Sie muss die Mitarbeiter dazu motivieren, dass sie sinnvolle Wege auch tatsächlich einschlagen.
Und sie muss die Mitarbeiter dazu qualifizieren, dass sie diese Wege erfolgreich gehen können. Dieser Dreiklang aus Orientieren, Motivieren und Qualifizieren klingt auf den ersten Blick vielleicht etwas banal. Nimmt man ihn ernst, birgt er aber gleichzeitig viel Mühe und ein großes Potenzial.
Als Hochschullehrer haben Sie die nächste ManagerGeneration in Ihrem Hörsaal sitzen. Welche neuen Eigenschaften und Erwartungen bringen die kommenden Chefs mit? Wie unterscheidet sich deren Leadership-Verständnis von dem der jetzigen Führungskräfte?
Ich bin in meinem zwanzigsten Jahr als Professor für Betriebswirtschaft tätig. Auch in meinen Vorlesungen beobachte ich, was in der Breite der Gesellschaft durch zahlreiche Studien belegt ist: Seit etwa zehn Jahren haben wir es mit einer völlig neuen Generation zu tun, die sich grundlegend von früheren Generationen unterscheidet. Mit Ihrer Frage implizieren Sie ja, dass meine Studenten die Chefs von morgen sind. Früher wäre das sicherlich zumindest die Hoffnung vieler gewesen, die mir im Hörsaal gegenübersitzen. Heute ist das ganz anders. Die wenigsten haben ein hoch gestecktes Karriereziel. Die meisten suchen nach Selbstverwirklichung und einer attraktiven Work-Life-Balance. Sie suchen nach einem Job, der ihnen ein hohes Einkommen und noch größere Freiheiten bietet. Beides ist kein stiller Wunsch, es wird aktiv eingefordert.
In jedem Fall gilt: Man muss die Welt so sehen, wie sie wirklich ist, und nicht so, wie man sie sich wünscht.
Die Bereitschaft, dafür eine adäquate Gegenleistung zu erbringen, nimmt gleichzeitig ab. Auch wenn ich manches vielleicht etwas überzeichne, die Grundtendenz ist unverkennbar. Das kann man mögen oder auch nicht. In jedem Fall gilt auch hier: Man muss die Welt so sehen, wie sie wirklich ist, und nicht so, wie man sie sich wünscht. Denn wenn man vor dieser Entwicklung die Augen verschließt, wird man es versäumen, neue Führungssysteme zu etablieren, die der neuen Generation von Managern, die gerade heranwächst, gerecht werden.
Welchen Einfluss hat dieser Wandel auf die Unternehmenskultur, die laut Studie ein wesentlicher Stellhebel für wirtschaftlichen Erfolg ist?
Viele deutsche Weltmarktführer sind mit einer Kultur groß und erfolgreich geworden, die der Wirtschafts- und Sozialphilosoph Charles Handy als Zeus-Kultur bezeichnet: An der Spitze einer strengen Hierarchie steht der Unternehmensgründer, der sich als gutmütiger Patriarch um seine Mitarbeiter kümmert, der aber auch ohne Wenn und Aber ganz klar den Ton angibt. In Zeiten, in denen sich die Welt immer schneller verändert, in denen die Umweltbedingungen so instabil sind wie selten zuvor, in denen sich eine zunehmend gebildete und mobile Belegschaft immer weniger in die starren Strukturen einer Organisation einpassen will, muss man das Fortbestehen einer solchen Kultur zwangsläufig infrage stellen.
In Zukunft werden Führungskräfte nicht umhinkommen, Macht abzugeben. Nur wer die Mitarbeiter der neuen Generation zu eigenen Entscheidungen motiviert und befähigt, kann sie begeistern, langfristig für sich gewinnen und ihr Potenzial freisetzen.
Sie beschäftigen sich als Wissenschaftler intensiv mit den Wissens- und Kompetenzlücken am Innovationsstandort Deutschland. Wie steht es um die Innnovationsfähigkeit am Standort D? Gehören deutsche Weltmarktführer auch in fünf oder zehn Jahren noch zu den globalen Leadern?
Ich bin ein optimistischer Mensch und ich sage ja, auch in fünf oder zehn Jahren werden die meisten der heutigen deutschen Weltmarktführer weiterhin an der Spitze ihrer Märkte stehen. Das wird aber natürlich nicht von selbst so kommen. Die Unternehmen müssen viel dafür tun. Vor allem im Hinblick auf digitale Technologien, aggressive Konkurrenz aus China, Start-ups, die sich als Intermediäre zwischen die etablierten Unternehmen und ihre Kunden setzen, und nicht zuletzt in Anbetracht zunehmender geopolitischer Risiken gibt es enorme Herausforderungen, die gemeistert werden müssen. Das wird nur gelingen, wenn die Führungs- und Motivationssysteme auf allen Ebenen der Organisation einen agilen Umgang mit diesen Herausforderungen sicherstellen.