Wie lässt sich Operational Excellence in der Produktion erreichen, warum sollten Führungskräfte häufiger einen Perspektivwechsel wagen und was bedeutet Diversity für den Shopfloor?
Dr. Rawina Benoit, Produktionsexpertin, erläutert im Interview die aktuellen Herausforderungen für die produzierende Industrie.
Frau Benoit, Sie haben in Ihrer Karriere sowohl international als auch strategisch gearbeitet. Warum haben Sie sich – zuletzt in der Funktion als Werkleiterin – ganz bewusst für die Produktion entschieden?
Mich reizt der Shopfloor, dort spielt die Musik. Denn ohne Produktion kein Produkt und ohne Produkt kein Business! Zehn Prozent der Menschen in Deutschland arbeiten in der produzierenden Industrie und erwirtschaften fast 25 Prozent unseres Bruttoinlandsprodukts. Leider wird das nicht immer gewürdigt. Aber die BIP-Zahlen verdeutlichen die Bedeutung für den Standort Deutschland und warum wir das Image der Produktion verbessern müssen.
Wie drückt sich dieser Anspruch in Ihrer täglichen Arbeit aus?
Als Werkleiterin muss ich den Mitarbeitenden den Rücken stärken und ihnen immer das Gefühl geben: Ich bin nicht da, um euch das Leben schwer zu machen, sondern um mit euch gemeinsam Herausforderungen zu lösen. Dazu habe ich immer wieder intensive Gespräche auf dem Shopfloor geführt und war auch regelmäßig bei Reinigungs- oder Wartungsarbeiten dabei. Ziel ist es, die Probleme der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wirklich zu verstehen und einen Raum zu schaffen, um Lösungen zu finden und ehrliches Feedback zu geben. Diese Gespräche sind sehr wichtig. Die meisten Menschen wollen besser werden. Aber dazu braucht es gezieltes Feedback.
Mich reizt der Shopfloor, dort spielt die Musik.
Dr. Rawina Benoit
Denn ohne Produktion kein Produkt und ohne Produkt kein Business!
Production expert
Sie haben in Ihrer Karriere immer wieder aktiv die Perspektive gewechselt. Warum ist es für eine Führungskraft so wichtig, neue Perspektiven einzunehmen?
Empathie und emotionale Intelligenz sind individuell unterschiedlich ausgeprägt. Durch das Einfordern von Perspektivwechseln können sich Führungskräfte ein Stück weit zu empathischeren Leadern entwickeln. Sie erweitern ihren Horizont, lassen andere Sichtweisen zu und sind in der Lage, besser zu vermitteln – um letztlich ohne Beeinträchtigung durch persönliche Befindlichkeiten optimale Lösungen zu finden. Das haben auch die Unternehmen erkannt und wissen, dass Empathie ein ganz wichtiger Bestandteil von Führung ist.
Welche Bedeutung haben moderne Arbeitsformen für die industrielle Arbeitswelt? Sind „New Work“ und „Diversity“ schon in der Produktion angekommen?
Diversity bedeutet Repräsentativität, alle Stimmen sollen gehört werden. Doch gerade die Stimmen aus der Produktion werden oft überhört. Unternehmen müssen in ihrer Kommunikation alle Mitarbeitenden mitnehmen und zu Wort kommen lassen. Im Kontext von New Work passen aber viele Themen nicht in die Produktion, zum Beispiel Homeoffice. Um die Realitäten der Arbeitswelt mit den Erwartungen der jungen Generation in Einklang zu bringen und sich gleichzeitig für die Zukunft zu rüsten, stellen sich aus meiner Sicht drei Aufgaben: erstens den Know-how-Transfer von den Babyboomern zu den Jüngeren im Unternehmen sicherstellen, zweitens klare Entwicklungsstrukturen und Chancen für den Nachwuchs aufzeigen und drittens ein internes Skill-Management inklusive Skill-Development vorantreiben. Die Unternehmen müssen die benötigten Kompetenzen, die möglicherweise nicht in Ausbildungs- oder Studiengängen vermittelt werden, gezielt aufbauen und gleichzeitig den Talenten Entwicklungspfade aufzeigen – in der Produktion und perspektivisch auch über verschiedene Hierarchieebenen in der Produktion hinweg.
Über die Person
Dr. Rawina Benoit leitete als Plant Director im Stammwerk der Henkel AG das größte Werk des Unternehmens in Europa mit rund 400 Mitarbeitenden. Vor ihrer Tätigkeit beim Konsumgüterriesen, für den sie auch in den USA in leitender Funktion tätig war, arbeitete sie vier Jahre als Unternehmensberaterin. Benoit studierte Maschinenbau an der RWTH Aachen und wurde mehrfach ausgezeichnet, unter anderem als Top 40 unter 40 (CAPITAL Magazin) oder Vordenkerin (Handelsblatt).
Das Henkel-Werk, das Sie als Werkleiterin geführt haben, wurde mehrfach mit einem Excellence Award ausgezeichnet. Was bedeutet für Sie Operational Excellence?
Operational Excellence geht über die Anlageneffizienz hinaus. Die Vermeidung von Verschwendung muss ganzheitlich betrachtet werden, also Energie- und Materialeffizienz ebenso berücksichtigen wie Kommunikationseffizienz. Das bedeutet: Der Informationsfluss von der Werkleitung bis zum Shopfloor muss ohne Brüche gewährleistet sein, alle Prozesse müssen klar kommuniziert werden. Operational Excellence und der Zero-Loss-Ansatz sollten in eine End-to-End-Betrachtung der gesamten Fabrik eingebettet sein und Durchgängigkeit gewährleisten.
Wie unterstützt die Unternehmenskultur diesen Ansatz?
Der Weg zum Erfolg führt über Kontinuität und Konsequenz. HR und Corporate Communications sind beispielsweise sehr wichtig, um eine aussagekräftige Vision, Mission und Kultur zu formulieren. Aber die Umsetzung darf nicht vernachlässigt werden. Das Produkt entsteht auf dem Shopfloor, dort muss operative Führungsverantwortung übernommen werden, um die Unternehmensvision mit Leben zu füllen. Deshalb: Walk the Talk! Als Führungskraft muss man die Kultur vorleben, das Gespräch suchen und verständlich übersetzen, was vorher nur auf Folien geschrieben wurde. Wenn wir als Führungskräfte unseren Mitarbeitenden die Verantwortung für einen Standort oder eine Maschine übertragen, vertrauen wir ihnen und erkennen an, dass sie die Expertinnen und Experten für diese Anlage sind. Dieser Freiraum kann Prozesse effizienter machen und Kosten sparen. Gleichzeitig sind klare Feedbackschleifen und eine gute Kommunikation wichtig. Denn Veränderungen müssen sich auch wirtschaftlich rechnen.
Zum Schluss – passend zu Ihnen – ein Perspektivwechsel. Sie haben von der Vorbildfunktion einer Führungskraft
gesprochen. Welche Menschen haben denn Ihren beruflichen Lebensweg geprägt?
Ich bewundere Menschen, die mit viel Expertise in ihrem Bereich dominieren. 2010 habe ich als Diplomandin in einer Fabrik in Hamburg gearbeitet. Mein Chef dort ist mit sehr viel Menschlichkeit vorangegangen, hat aber seine Anforderungen an mich und unsere Ergebnisse immer sehr klar kommuniziert. Das prägt mich bis heute, denn er hat mir gezeigt, wie man seine Ziele erreicht und trotzdem abends zusammen ein Bier trinken gehen kann. Wir haben auch heute noch Kontakt, er ist ein toller Sparringspartner für mich. Es sind aber nicht immer die direkten Vorgesetzten, sondern auch Mentoren oder externe Wegbegleiter, die prägend wirken. Für das Unternehmensumfeld ist es immer wichtig, die Stärken jedes und jeder Einzelnen zu erkennen und zu fördern, um das Optimum zu erreichen. Letztlich ist die Gesamtleistung ein Puzzle aus Einzelteilen.
Für das Unternehmensumfeld ist es immer wichtig, die Stärken jedes und jeder Einzelnen zu erkennen und zu fördern, um das Optimum zu erreichen. Letztlich ist die Gesamtleistung ein Puzzle aus Einzelteilen.
Dr. Rawina Benoit
Production Expert
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