PROF. DR. THOMAS FRIEDLI
Direktor des Instituts für
Technologiemanagement und
Professor für Produktionsmanagement
Universität St. Gallen
THOMAS SPIESS
Mitglied der Geschäftsleitung
Staufen.Inova AG
HANDELSBARRIEREN, UMWELTASPEKTE UND NICHT ZULETZT DIE CORONAPANDEMIE HABEN IN DEN VERGANGENEN MONATEN DEUTLICH GEMACHT, WIE WICHTIG ROBUSTE LIEFERKETTEN SIND. DOCH DAS MANAGEMENT WELTWEITER VERSORGUNGSNETZWERKE WIRD IN VIELEN GLOBAL AGIERENDEN UNTERNEHMEN NACH WIE VOR STIEFMÜTTERLICH BEHANDELT. DR. THOMAS FRIEDLI, PROFESSOR FÜR PRODUKTIONSMANAGEMENT AN DER UNIVERSITÄT ST. GALLEN, UND THOMAS SPIESS, MITGLIED DER GESCHÄFTSLEITUNG BEI DER STAUFEN.INOVA AG, ZEIGEN AUF, WIE WICHTIG DER ABBAU VON KOMPLEXITÄT IN DEN WERTSCHÖPFUNGSNETZWERKEN KÜNFTIG FÜR DEN ERFOLG DER UNTERNEHMEN SEIN WIRD.
Herr Professor Friedli, was ist die größte Herausforderung
für die Industrie und global tätige Unternehmen im Hinblick auf robuste Versorgungsnetzwerke?
Friedli: Die größte Herausforderung ist seit Jahren die Frage, wie man die Komplexität eines Netzwerks so transparent gestaltet, dass gute und auch gut begründete Entscheidungen getroffen werden können. Daran hat auch die Pandemie nichts geändert. Bisher bezieht sich bei vielen Unternehmen ein Großteil der Optimierungen im Produktionsbereich immer auf einen einzelnen Standort. Beim Industrie-4.0-Hype führte dieser Ansatz zwar zu digitalen Vorzeigefabriken, aber die dort vorangetriebene Digitalisierung bietet absolut keine Netzwerkperspektive.
Wie unterstützt die Universität St. Gallen Unternehmen dabei, eine solche Netzwerkperspektive zu erarbeiten?
Friedli: Indem wir Modelle entwickeln, die ihnen helfen, Transparenz zu schaffen. Denn das ist die Grundlage, um die richtigen Diskussionen führen und die passenden Entscheidungen treffen zu können. Wir sehen ja auch bereits, dass die Ziele sich langsam verändern. Vor der Pandemie waren das fast ausschließlich die klassischen „Competitive Priorities“ – Kosten, Zeit, Flexibilität, Qualität und Innovation. Jetzt stehen Robustheit und Resilienz ganz oben.
Auch die Staufen.Inova AG berät seit Jahren Kunden im Supply Chain Network Management. Herr Spiess, was hat sich in den vergangenen fünf Jahren bei den Unternehmen verändert?
Spiess: Statt nur die einzelne Fabrik gläsern zu machen, haben einige Kunden nun damit begonnen, über das Fabrikgelände hinauszuschauen. So ist zum Beispiel Bosch dabei, den eigenen Fabrikverbund mit nicht weniger als 240 Werken weltweit transparent zu machen.
Worauf müssen sich die Kunden in den nächsten Jahren bei der Transformation zu einem gläsernen Netzwerk fokussieren?
Spiess: Die Firmen müssen die großen Hebel finden. Sie dürfen nicht nur die firmeneigenen Netzwerke anschauen
, sondern müssen das Lieferantennetzwerk und das Distributionsnetzwerk bis hin zum Endkunden im Blick haben. Und sie müssen lernen, diese komplexen Wertschöpfungsnetzwerke zu managen. Die Pandemie hat hier die Punkte Robustheit und Kollaboration stark in den Fokus gerückt, als man plötzlich sah, wie Supply Chains ins Stocken gerieten oder sogar komplett abrissen.
Wie komplex Versorgungsnetzwerke sind, zeigt sich häufig erst bei der Umsetzung von standort- und prozessübergreifenden Projekten. Was empfehlen Sie in solchen Situationen?
Spiess: Ein Ansatz, um die Komplexität zu reduzieren, ist die Segmentierung und die Strukturierung des Netzwerks. Die Konzerne müssen sich anschauen, wo sie
ähnliche Prozesse haben, die sie gleich behandeln und steuern können. Ein weiteres Thema ist die Verkürzung der Supply Chain und das Auffinden von Schnittstellen
zu anderen Bereichen. Hier kann die Modellierung interessante Ergebnisse liefern. Und letztendlich muss ein Verantwortlicher in der obersten Unternehmensführung das Thema Netzwerke managen.
Die Universität St. Gallen und Staufen.Inova starten gemeinsam mit der Schweizerischen Agentur für Innovationsförderung Innosuisse ein Forschungsprogramm zum Thema robuste Produktionsnetzwerke. Worum geht es dabei?
Friedli: Wir wissen, dass ein Netzwerk häufig auf die typischen Footprint-Entscheidungen reduziert wird. Das führt bei der Produktion nicht selten zu Verlagerungen, Rückverlagerungen oder Standortschließungen. Natürlich kann man immer irgendwo billiger produzieren. Aber es gibt auch noch einen anderen Hebel für
Robustheit und Resilienz: die Gesamtkoordination im Netzwerk. Wir wollen uns damit beschäftigen, warum diese Gesamtkoordination bislang schlecht oder gar
nicht angegangen wird, und vor allem, wie man sie verbessern kann. Denn wenn ein Unternehmen dort heute zu Entscheidungen kommt, kann es sie morgen
umsetzen. Eine Standortschließung zieht sich hingegen meist über Jahre hin.
Welche Rolle spielt Staufen.Inova in diesem Forschungsprogramm?
Spiess: Staufen.Inova bildet die Brücke in die Praxis, also zwischen den Hochschulen und den Firmen, die bereits am Projekt teilnehmen. Wir bringen hier die
Ende-zu-Ende-Denkweise ein. Speziell meine Rolle ist es auch, aus unserem Kundenkreis und Netzwerk weitere Unternehmen mit Interesse an robusten Produktionsnetzwerken als Projektteilnehmer zu gewinnen.
Herr Professor Friedli, noch eine Frage zum Schluss: Kostendruck und eine globale Spezialisierung in einzelnen Wertschöpfungsschritten sind in den vergangenen Jahren zu Herausforderungen für Konzerne und KMU geworden.
Wie können die Unternehmen diesen Herausforderungen kurz- und mittelfristig begegnen?
Friedli: Viele Industrieunternehmen haben die Produktion in den vergangenen Jahren als eine Selbstverständlichkeit betrachtet und dabei teilweise komplett aus den Augen verloren. Das hat zu einigen gravierenden Fehlentscheidungen geführt. Denn operative Exzellenz spielt weiterhin eine entscheidende Rolle. Die Motivation, auch in der Produktion immer wieder Verbesserungen zu schaffen, muss aufrecht gehalten werden. Und wichtig: Digitalisierung darf nicht zum Selbstzweck werden. Aber sie kann helfen, die Gesamtkoordination und damit die Robustheit ihrer Netzwerke zu verbessern. Unternehmen dürfen nicht zögern, den Hebel anzusetzen, um transparente Supply Chains zu etablieren.
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