VOLVO – Alle Herausforderungen bringen auch Chancen mit sich

VOLVO | Leadership und Organisationsentwicklung

Ein Interview mit Wilson Lirmann, Präsident der Volvo- Gruppe Latein Amerika

1. Welche Zukunftsperspektive hat Volvo in dieser digitalisierten und in höherem Maße automatisierten Welt?

Der Volvo-Konzern steht bei der autonomen Technologie von Nutzfahrzeugen an vorderster Stelle. Volvo Trucks entwickelt derzeit eine neuartige Lösung für reproduzierbare Transportvorgänge in Märkten, die sich durch eine hohe Präzision auszeichnen, wie beispielsweise für den Transport zwischen Logistikzentren. Die Lösung namens Volvo Vera bietet autonome und Elektrofahrzeuge, die über einen Fernzugriff mit einer Transportsteuerzentrale verbunden sind.
Zusätzlich führt Volvo gegenwärtig verschiedene Automatisierungslevel unter realen Geschäftsbedingungen durch. Hierunter fallen zum Beispiel Lkws für das Bergbausegment in Schweden und die Müllabfuhr in England. Außerdem existieren bereits autonome Prototypen von Bussen und Baumaschinen im Entwicklungsstadium.

In Brasilien nahm Volvo die weltweit erstmalige gewerbliche Auslieferung von Lkws mit autonomer Technologie vor. Es wurden sieben Einheiten der autonomen VM an den Usaçúcar-Konzern ausgeliefert. Dabei handelt es sich um ein in einer Partnerschaft zwischen Volvo do Brasil und Engineering in Schweden umgesetztes Projekt zum Einsatz von derartigen Lkws bei der Zuckerrohrernte. Im Bereich der betrieblichen Effizienz sowie der Verlustminderung wurden exzellente Resultate erzielt. Diese Lösung schließt den Einsatz eines Fahrers nicht aus. Allerdings verbleibt der Fahrer eher zur Betriebsüberwachung und Durchführung anderer Aufgaben im Führerhaus.

2. Welche Lektionen hat das Unternehmen aus der COVID-19-Pandemie gelernt? Welche Veränderungen sollten im Hinblick auf Folgendes implementiert werden: gegenwärtige Supply-Chain-Netzwerkstrategie, Fortführung der betrieblichen Effizienz und Herausbildung interner Führungskräfte für die effiziente Führung von Remote-Teams?

Gewiss ist es so, dass wir derzeit sämtliche von Ihnen aufgeführten Punkte und noch viele mehr abarbeiten. Das von uns in den vergangenen Jahrzehnten verbesserte Führungsmodell für Spitzenleistungen bringt auch weiterhin unsere Routinen und die Weiterentwicklung unserer Organisation voran.
Gleichzeitig schält sich im gegenwärtigen Kontext klar heraus, dass wir in einem von Volatilität, Ungewissheit, Komplexität sowie Ambiguität gekennzeichneten Umfeld leben – der berüchtigten „VUCA“-Welt wie es im englischsprachigen Raum heißt. Wir sind bestrebt, ein Fundament zu schaffen, das uns – selbst angesichts der Volatilität – Festigkeit und Beständigkeit verschafft. Aufbauend auf einer solchen Stabilität streben wir danach, die in der Realität erforderliche Anpassungsfähigkeit zu entwickeln. Um Ungewissheiten die Stirn zu bieten, fördern wir Teamwork und auf Vertrauen beruhende Geschäftsbeziehungen in der gesamten Wertschöpfungskette und gewährleisten dabei, dass die besten Ideen miteinander verknüpft werden und ihre Implementierung effizient erfolgt. Wir teilen das Dilemma der Komplexität und Ambiguität mit allen unseren Stakeholdern und Unternehmen zusätzliche Anstrengungen, um die gemeinsamen Ziele zu erreichen. Ich bin der Überzeugung, dass eine starke und gedeihliche Unternehmenskultur uns bei der Bewältigung neuer Herausforderungen Flügel verleiht. Wie Peter Drucker schon sagte: „Kultur isst Strategie zum Frühstück.”

 
3. Welche primären Verfahren setzt die Gesellschaft ein, um nach Zeiten des Geschäftsrückgangs mit erhöhter Effizienz und Agilität erneut in Schwung zu kommen?

Alle bedeutenden Herausforderungen sind gleichzeitig auch Chancen, um zu lernen und aufzublühen.

Trotz aller negativer Auswirkungen verschafft uns die Krise auch die Möglichkeit, alle unsere Handlungen neu zu überdenken.

Nicht nur unsere Pläne und Strategien, sondern auch unsere Gewohnheiten. Aufgrund des geschäftlichen Umfelds haben wir in den vergangenen Jahren zahlreiche Anpassungen durchgeführt. Trotzdem setzen wir unser Krisenmanagementmodell unter Beteiligung des gesamten Führungsteams in die Praxis um. Wir haben 3 vorrangige Prioritäten:

  • Die Gesundheit und Sicherheit aller Beschäftigten
  • Den Erfolg unserer Kundschaft
  • Die Pflege unserer Wertschöpfungsketten, nicht nur der von Volvo.

Trotz der Sorgen, die uns diese Situation natürlich bereitet hat, verzeichneten wir überraschende Ergebnisse, weil sich jeder Einzelne engagiert einsetzte und zum Gelingen beitrug. Dies hat uns mit Stolz und der Zuversicht erfüllt, dass wir diese schwierige Zeit gemeinsam erfolgreich bewältigen werden.

4. Welche Erwartungen hegen Sie für die Neubelebung der Märkte in Brasilien und Lateinamerika?

Im Jahr 2019 feierten wir das 40-jährige Bestehen von Volvo in Brasilien und erreichten nach einer der schlimmsten Krisen in den Jahren 2015/2016 erneut bedeutende Volumina. Auf dem gewerblichen Beförderungsmarkt zeigten sich erste Anzeichen einer Erholung. Daher erwarteten wir seinerzeit eine signifikante Erholung des Wirtschafts- und Unternehmenswachstums. Im Februar 2020 kündigten wir Investitionen in Höhe von einer Milliarde Reais an. Im März haben sich die Aussichten jedoch vollständig geändert. Die Pandemie unterbrach abrupt das erwartete Wachstum. Die Zahlen von Anfavea (dem nationalen Automobilverband der Fahrzeughersteller) zeigen einen 19%-igen Rückgang der Lkw-Verkäufe im ersten Halbjahr und die Prognose, dass dieser Rückgang bis Jahresende fast 40 % erreichen wird. In diesem Szenario wird unserer Überzeugung nach in einigen unserer wichtigen Wirtschaftssektoren 2021 eine langsame Erholung einsetzen: im Agrobusiness – das eine der größten Ernten in der Geschichte aufweisen und Transportinfrastruktur benötigen wird –, gefolgt von verarbeiteten Lebensmitteln sowie Rohstoffen.

5. Warum hat Volvo Trucks Brasil den Beschluss gefasst, in eine Lean-Umstellung für den gewerblichen Bereich zu investieren? Welche Nutzen in Bezug auf die Leistungskennzahlen sind bereits durch dieses Verfahren ermittelt worden?

Die Lean-Umstellung ist eine unserer Säulen. Volvo implementierte das Lean Thinking vor mehr als 20 Jahren im industriellen Bereich und erreichte hervorragende Resultate bei der Verschwendungsvermeidung und der Beteiligung von Teams an der Lösung von Problemen und der Identifikation von Chancen. Dieser Erfolg hat uns dazu ermutigt, die Entfaltung dieser Philosophie in der gesamten Wertschöpfungskette angefangen bei den Zulieferern bis hin zu Händlern, im gesamten Land zu beschleunigen. Durch das „Volvo Production System”-Konzept stellen wir den Kunden in den Mittelpunkt aller unserer Maßnahmen, und genauso die systematische Beschäftigung mit der Verschwendungsvermeidung. Die Entfaltung der Lean-Transformation dient als Referenz für den gesamten Volvo-Konzern.

6. Zu welchen positiven Auswirkungen führt derzeit die Lean-Umstellung bezüglich des Führungsverhaltens in den Geschäftsprozessen?

Unter den Faktoren für die erfolgreiche Implementierung der Lean- Methodologie möchte ich das Engagement des gesamten Teams hervorheben, weil es mehr als einer Änderung von Verfahren oder der Einbettung neuer Technologien, vielmehr der Gestaltung eines tiefgreifenden kulturellen Wandels in der Organisation bedarf. Durch die Beteiligung des Teams an der Umstellung haben die Beschäftigten die Möglichkeit, ihr gedankliches Modell zu ändern, was es ihnen erlaubt, den Wertstrom und Abfälle eindeutiger zu erkennen. Zusätzlich entwickeln sie die Fähigkeit, als Team zu arbeiten, Probleme zu lösen und, vor allem für den Erfolg unserer Kundschaft, Mehrwerte zu schaffen.

7. Sind Sie in diesem krisenbehafteteten Augenblick, in dem Unternehmen einer schwierigen Lage im Hinblick auf ihren Cashflow ausgesetzt sind, der Meinung, dass die Investition in eine Lean-Umstellung eine gute Option als Vorbereitung auf eine effektivere Erholung darstellen kann?

Zweifellos. Unternehmen müssen ihre Maßnahmen beharrlich weiterverfolgen, um sich den Herausforderungen der Pandemie erfolgreich zu stellen und der in den kommenden Jahren zu erwartenden Komplexität gerecht zu werden. Die Führungskräfte werden dabei weiterhin eine elementare Rolle spielen. Die Lean-Philosophie erweist sich für die Ausgestaltung der von uns aktuell und künftig erwünschten Mentalität als äußerst effizient. Dies wird eine lange Reise werden, die eines hohen Ausmaßes an Widerstandsfähigkeit bedarf. Bei der Einführung neuer Verfahren werden unserer Erfahrung nach auf mittlere Sicht Ressourcen und Energie innerhalb der Organisation freigesetzt. Zusätzlich vervielfachen wir den Lernprozess und die Anerkennung, was es jedem Einzelnen ermöglicht, daraus einen Nutzen zu ziehen!

VOLVO

Seit den 1970er Jahren ist der Fahrzeugbauer VOLVO in Brasilien vertreten. Im Jahr 1977 begann die Produktion von VOLVO-Lkw im brasilianischen Curitiba. Seitdem entwickelt VOLVO do Brasil Technologien und innovative Lösungen sowohl für die eigenen Produkte als auch für Produktionsprozesse und die Bereiche Logistik, Vertriebsdienstleistungen und Ersatzteile. Mit Mut zu Innovation bietet VOLVO seinen Kunden erfolgreich schnelle, intelligente und praktische Lösungen. Vor Kurzem hat VOLVO einige neue Produkte auf den Markt gebracht, die die Bedürfnisse des immer komplexeren, anspruchsvolleren Markts durch Verbesserungen bei Sicherheit, Komfort, Brennstoffeffizienz, Navigation und Schadstoffemissionen bedienen. In der ersten Dekade dieses Jahrtausends hat der Standort Curitiba seine Prozesse mit der Einführung des Konzepts der „Self Managed Teams“ verbessern können. Anfang des Jahrtausends wurden am Standort Curitiba außerdem das Konzept des „Lean Manufacturing“ und die erste Version des VOLVO-Produktionssystems (VPS) eingeführt. Das VPS ist inzwischen ein weltweit angewandtes Konzept. Im Zuge dieser Entwicklungen hat VOLVO erhebliche Verbesserungen bei der Mitarbeitersicherheit, der Produktqualität und der industriellen Produktivität erzielt.

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