Erfolgsfaktor Agilität: Haltung schlägt Methode

von Dr. Andreas Romberg, STAUFEN.AG

Das Thema Agilität wird aktuell ähnlich groß gehypt wie Lean in den 1990er Jahren. Das galt damals als Allheilmittel zur Verbesserung und dem Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit. Unzählige Manager pilgerten vor der Jahrtausendwende zu den Vorbildern der Stunde wie z.B. Toyota und kamen mit vielen Ideen zurück. Leider wurde Lean nur auf wenige Methoden wie Kanban, 5S, TPM etc. reduziert – in der Folge kratzten viele Unternehmen nur an der Oberfläche und erzielten enttäuschende Ergebnisse. Ähnliches beobachten wir heute bei Agilität, dem Buzzword der Stunde.

Diverse Protagonisten wie Google und Co. erzielten mit agilem Arbeiten bereits großen Erfolg. Auch hier sind vorrangig einzelne isolierte Methoden und Ansätze wie Scrum, Scrumban, Large Scale Scrum (LeSS) etc. zu erkennen. Jedoch ist auch das wiederum leider nur ein Kratzen an der eher methodischen Oberfläche. Denn Agilität ist ein systemischer Ansatz, der auf den Prinzipien von Lean aufsetzt und im Zusammenspiel zwischen diversen Faktoren wie Prozessen, Strukturen, Führungssystemen, unterstützenden Infrastrukturen und neuen Methoden eine Kultur erzeugt, die zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit vieler Unternehmen führen kann.

Agil, was ist das?

Viele Unternehmen stehen immer stärker unter Druck und müssen sich verändern, weil sie feststellen: „Nichts funktioniert mehr wie früher!“ Traditionelle Prozesse und Strukturen halten nicht mehr Schritt mit den wachsenden Anforderungen durch Produkte, Märkte und internationale Wertschöpfungsnetzwerke sowie den Änderungen in der Gesellschaft. Sie bewegen sich zunehmend in einem immer schneller drehenden “Hamsterrad”.

Agilität hilft, mit Unsicherheiten und hohen Dynamiken umzugehen und wachsende Komplexität handhabbar zu machen. Dabei muss Agilität aber als systemischer Ansatz verstanden und unternehmensspezifisch umgesetzt werden – schon weil Organisationen lernen müssen, sich ständig an wechselnde Rahmen- und Marktbedingungen anzupassen.

Das System muss zur Organisation passen

Einst erfolgreiche Branchenführer wie Nokia, Eastman Kodak, Sears oder auch heimische Unternehmen wie Schlecker oder Arcandor haben es nicht geschafft, sich an den Wandel der Zeit anzupassen. Ihnen gemein ist, dass sie veränderte Marktanforderungen nicht oder zu spät erkannten – und ihre Fehlinvestitionen in der Folge Milliarden kosteten. Zudem waren ihre Produkte zumeist nicht mehr in der Lage, einen überlegenen Kundennutzen zu stiften, sodass diese einst stolzen Platzhirsche binnen weniger Jahre ausgelöscht oder auf Minimalmaß zurechtgestutzt wurden.

Die dynamische Anpassungsfähigkeit an die Umwelt ist also kein Selbstzweck. Vielmehr dient sie der Sicherung der langfristigen Überlebenslebensfähigkeit von Unternehmen in komplexen, dynamischen Umgebungen. Jedoch bedeutet dies nicht, dass jede Organisation automatisch agil werden muss. Der Kontext der jeweiligen Organisation ist entscheidend. Bei gut vorhersehbaren, stark repetitiven Abläufen und Veränderungen wäre Agilität schlicht und ergreifend „Verschwendung“. Es muss auch nicht das Gesamtkonstrukt verändert werden. Ein agiles Unternehmen kann auch bedeuten, dass einige Bereiche innerhalb des Unternehmens agil werden und andere wiederum nicht. Und dennoch ist das Unternehmen in Summe anpassungsfähig. Im Fokus stehen also die Organisationen innerhalb einer Organisation.

Dr. Andreas Romberg ist Lean Spezialist in Entwicklung und Produktion. Nach seiner Ausbildung zum Maschinenbauingenieur (Produktions- und Feinwerktechnik) arbeitete er als Hochschulassistent und Prozessberater und promovierte im Bereich Fertigungstechnik und Betriebsorganisation. Er erwarb umfassende Linienerfahrung während seiner 12-jährigen Tätigkeit in der Automobilzulieferindustrie als Produktionsverantwortlicher und als Werkleiter. Während dieser Zeit erwarb er umfassende Erfahrung in der Implementation und Anwendung von Lean Methoden und betreute und verantwortete zahlreiche Neuanläufe. Seit Mitte 2003 ist er Berater bei der Staufen AG. Als Senior Partner führt er den Bereich „STAUFEN.Think Tank“

dr. andreas romberg, staufen.ag

So nah wie möglich am Wertstrom

Bei Anpassung und Einführung von Agilität sollte der Reifegrad des jeweiligen Unternehmens in Hinblick auf verschiedene Handlungsfelder wie u.a. Strukturen, Prozesse und Führungskultur evaluiert werden. Zudem muss in einer Kontextanalyse beurteilt werden, wie sich das jeweilige Umfeld auswirkt. Erst wenn klar ist, wo das Unternehmen steht, können sinnvolle organisatorische Entwicklungspfade gemeinsam definiert werden. Ein solider Ausgangspunkt für eine agile Organisation ist eine an den Führungsprinzipien des Lean Managements ausgerichtete Organisation, die die Entscheidungsfindung so nahe wie möglich am Wertstrom unterstützt.

Ein sich selbst veränderndes System

Agilität baut sehr stark auf den Prinzipien von Lean Management auf. Im Wesentlichen handelt es sich hierbei um die stetige Ausrichtung auf den Kunden, die starke Orientierung auf schlanke Prozesse sowie das durchgängige Verständnis und Denken in Kunde-zu-Kunde Prozessen. Dies bedeutet, dass neben dem Endkunden ebenfalls in internen Kundenbeziehungen gedacht und gehandelt wird. Darüber hinaus sind die Befähigung von Mitarbeitern sowie die Verantwortungsübergabe an den Wertstrom sowohl im Lean als auch bei Agilität besonders wichtig.

So nah wie möglich am Wertstrom

Doch wo genau liegt nun die Abgrenzung zwischen Lean und Agilität? Der wohl wichtigste Nutzen einer agilen Organisation ist, dass diese ein sich selbst veränderndes und reflektierendes System darstellt. Dies hört sich zunächst abstrakt und unkontrollierbar an, ist aber im Grunde genommen nicht weit entfernt von einer Wertstromorganisation. Auch in agilen Organisationen wird die Entscheidungsfindung und Durchführung so nah wie möglich an den Wertstrom gebracht. Der Unterschied ist, dass in einer Wertstromorganisation letztendlich die Führungskräfte entscheiden. In einer agilen Organisation ist die Führungskraft eine Art Enabler, der dazu da ist, das System zu unterstützen, jedoch nicht die Entscheidungen selbst zu treffen.

Agilität sollte nicht als Buzzword zu schnell auf einige wenige Methoden wie Scrum, Scrumban etc. reduziert werden. Stattdessen ist es wichtig, aus der Lean Transformation zu lernen und gleich den Blick auf das “Ganze” im Sinne eines systemischen Ansatzes zu richten. Die Anwendung agiler Arbeitsweisen und Methoden unterstützen auf der Reise zu „doing agile“. Doch eine nachhaltige agilitätsfördernde Kollaborationskultur im Sinne von „being agile“ bedarf neben neuen Methoden, insbesondere eine Veränderung in der Führung in Richtung Selbstführung sowie ein Wandel im Mindset und in der Haltung – und zwar bei allen, Führungskräften und Mitarbeitern. Die Kultur ist der Knackpunkt auf der Reise in Richtung Agilität, denn Haltung schlägt in jedem Falle die Methode.

Der führende Lean-Management-Kongress in Europa

Die Spielregeln haben sich geändert. Wer in Führung bleiben oder gehen will, muss sich bewegen! Der BestPractice Day am 02. Juli 2019 in Darmstadt (optional plus Workshops am 3. und 4. Juli) steht daher in diesem Jahr unter dem Leitmotto “Lernen. Führen. Wandel gestalten.” Erleben Sie ein erstklassiges Programm mit Top-Rednern aus der Lean-, New Work- und Digitalszene. Mit jährlich mehr als 350 Teilnehmern hat sich der BestPractice Day als Treffpunkt für Entscheidungsträger aus Wirtschaft und Wissenschaft etabliert.

Weitere Informationen zur Veranstaltung finden Sie unter: https://www.best-practice-day.com

  • Kongressvortrag am BestPractice Day 2019, 02. Juli 2019 in Darmstadt: „Agil werden? Muster brechen! Aber bitte mit Sinn und Sachverstand“
  • Workshop BestPractice Day 2019, 03.  Juli 2019 in Darmstadt: „AGILITÄT – LOS, LASSEN! Wie ein Moment alles verändert“
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