by ART BYRNE, Partner bei J. W. Childs Associates L. P.
Wie die vorliegende Studie zeigt, ist Lean Management ein wichtiger Grundpfeiler für unternehmerischen Erfolg auf den Weltmärkten – und wird dies auch weiterhin bleiben. Dennoch nutzen viele Unternehmen das sich bietende Potenzial bisher nicht, sagt Lean Experte Art Byrne im Gespräch mit der Staufen AG. Er glaubt, dass zahlreiche Entscheider nicht wirklich verstehen, wie revolutionär die Lean-Philosophie nach wie vor ist.
Die Studie „Best Strategy 2018“ geht dem Erfolgsgeheimnis deutscher Weltmarktführer auf den Grund. Wie viel Anteil hat Lean Management daran?
Ich weiß nicht, wie sehr die Lean-Philosophie zum Erfolg deutscher Weltmarktführer beiträgt, das kann vermutlich niemand genau sagen. Was ich allerdings weiß: Jedes Unternehmen ist signifikant erfolgreicher, wenn es eine Lean-Strategie implementiert und sie im täglichen Geschäft verfolgt. Man könnte sagen, richtig umgesetzt ist Lean ein „unfairer” Wettbewerbsvorteil.
Die weitere Verbesserung von Prozessen und Organisationsstrukturen ist nach Überzeugung von 95 Prozent der befragten Unternehmen entscheidend, um auch in den kommenden Jahren erfolgreich zu sein. Wo hakt es bei Prozessen und Organisationsstrukturen selbst bei den Weltmarktführern noch?
Es überrascht mich nicht, dass so viele Unternehmen entsprechende Verbesserungen für den Schlüssel künftiger Erfolge halten. Die Frage ist, wie sie das angehen werden.
Die meisten Unternehmen behalten nämlich einfach die gleichen grundlegenden Organisationsstrukturen und Ansätze bei. Sie arbeiten daran, Kosten durch Automatisierung zu senken, oder verfolgen andere traditionelle Herangehensweisen. Einen radikalen Wandel zu Lean begrüßen sie dagegen nicht, denn das widerspricht allem, was sie bisher gelernt oder erfahren haben. Häufige Folge: Die „Das-wird-hier-nie-funktionieren“-Fraktion gewinnt und der Status quo bleibt bestehen.
Obwohl es den meisten Unternehmen aktuell wirtschaftlich gut geht, sind viele Manager doch verunsichert und suchen in Zeiten großer Umbrüche Orientierung. Was empfehlen Sie Unternehmenschefs, die Sie in dieser „VUCA-Welt“ (Volatility, Uncertainty, Complexity und Ambiguity) um Unterstützung bitten?
Wenn ein Unternehmen große Veränderungen durchläuft, sind feste Leitsätze und ein verbindliches Führungsteam das Wichtigste, um Ängste zu nehmen. So bieten zum Beispiel die vier zentralen Lean-Prinzipien – Arbeit nach Taktzeit, One Piece Flow, Standardisierung und Pull – einen stabilen Rahmen, dem jeder folgen kann.
Neue Zeiten fordern vor allem auch eine neue Art der Führung. Welche Eigenschaften brauchen erfolgreiche Manager heute? Welche sollten sie schnellstens ablegen?
Wenn es um das Ablegen geht, sollte mit der „Make-the-Month-Denkweise“ angefangen werden. In Verbindung mit der Standard- Kostenrechnung zwingt sie Unternehmen dazu, sich noch viel zu lange mit dem vergangenen Monat zu beschäftigten, obwohl es längst neue Herausforderungen zu bewältigen gibt. Um künftige Ergebnisse zu beeinflussen, muss man nach vorn schauen, nicht zurück.
Wie schwer fällt es Unternehmen, eine neue Art von Führung zu etablieren? Und wie können sie diesen Weg erfolgreich schaffen? Manchmal vielleicht doch nur mit einem neuen Management?
Ich glaube nicht, dass man für eine Veränderung grundsätzlich eine neue Führung braucht, auch wenn das manchmal die einzige Möglichkeit ist. Es ist besser, dem bestehenden Management beizubringen, die Dinge neu zu sehen und welche gewaltigen Chancen damit verbunden sind. Dafür braucht man vermutlich Einflüsse von außen, zum Beispiel in Form eines Lean-Beraters oder eines Lean-CEO. Aber auch dann müssen Führungskräfte an vielen Zyklen eines kontinuierlichen Verbesserungsprozesses (KVP) teilnehmen, bis sie die notwendigen Veränderungen wirklich verstehen. Lean lässt sich leicht erklären. Aber wenn es an die Umsetzung geht, dauert es selbst mit der richtigen Unterstützung lange, das Denken von Führungskräften nachhaltig zu verändern.
Wie lange dauert es Ihrer Erfahrung nach, bis sich die Unternehmens- und Führungskultur in einem Unternehmen nachhaltig verändert? Wie viel Geduld müssen die Firmen mitbringen?
Nach meinen Erfahrungen braucht ein Kulturwechsel mehrere Jahre.
Selbst wenn ein von Lean überzeugter CEO alle Anstrengungen unternimmt. Denn Lean fühlt sich oft wie das Gegenteil von dem an, was man bisher gelernt hat. Das macht Angst, die notwendigen Veränderungen fühlen sich einfach nicht richtig an. Meine Faustregel lautet: Selbst mit einem engagierten Führungsteam dauert es etwa vier Jahre – in denen aber schon großartige Ergebnisse zustande kommen –, bis die Führungskräfte überhaupt verstehen, welche Möglichkeiten noch vor ihnen liegen. Wenn die Führungsmannschaft nach vier Jahren aufwacht und sagt: „Oh je, wir sind immer noch miserabel“, dann ist man auf dem richtigen Weg.
Lean Management hat sich in Deutschland vor allem in der Industrie etabliert, weniger dagegen in anderen Branchen. Warum ist das so? Und wie überzeugen Sie beispielsweise eine Versicherung, ein Handels- oder ein Bauunternehmen, sich für Lean Management zu entscheiden?
Das liegt zuerst einmal daran, dass „Lean“ nur ein anderer Begriff für das Toyota Production System (TPS) ist, also aus dem Produktionsbereich stammt. Problematischer ist aber, dass wir immer noch oft genug von Lean Manufacturing sprechen, wenn wir Lean meinen. Bei dieser Begrifflichkeit ist es nicht überraschend, dass sich Firmen außerhalb des produzierenden Gewerbes nicht angesprochen fühlen. Dabei sind die Chancen für Lean außerhalb der Industrie sogar tatsächlich noch größer. Es geht schließlich darum, bestehende Prozesse von Verschwendung zu befreien – und gerade außerhalb der Produktion hat man es gewöhnlich noch mit weit schlechteren Prozessen zu tun. Ein Unternehmen ist nichts anderes als eine Gruppe von Menschen und eine Anzahl von Prozessen, die versuchen, einer Reihe von Kunden etwas von Wert zu liefern. Wenn nicht produzierende Unternehmen die Dinge so sehen könnten, wäre ihr Interesse an Lean möglicherweise größer.
Man könnte sagen, richtig umgesetzt ist Lean ein ‘unfairer’ Wettbewerbsvorteil.
Sie haben auch schon Unternehmen in Private-Equity-Besitz einer Lean Transformation unterzogen. Wie haben Sie das konkret gemacht? Und mit welchem Ergebnis?
Es besteht eigentlich kein Unterschied darin, ob man ein Unternehmen in Private-Equity-Besitz oder ein anderes auf dem Weg zu Lean begleitet. Wir begannen auch dort mit dem Management, erklärten ihm, was wir vorhatten und warum. Dann steckten wir die Führungskräfte in zahlreiche KVP-Teams, in der Werkshalle ebenso wie im Büro. So konnten sie aus erster Hand erleben, welche Verbesserungen wir erzielten. Wir legten einige aggressive Ziele fest und verfolgten sie. In unserem Portfolio gab es ein Unternehmen, dessen europäische Sparte über Standorte auf dem ganzen Kontinent verfügt. Es gehört zu einer Industriebranche, die jährlich um 4 Prozent schrumpft. Hier haben wir mehr als 90.000 Quadratmeter Fläche freigesetzt, den Lagerumschlag von mal drei auf mal 20 erhöht, mehr als 100 Millionen Dollar an flüssigen Mitteln gewonnen,
die Durchlaufzeiten reduziert, neue Produkte eingeführt, die Bruttomarge um 9 Prozent erhöht und genug Marktanteile gewonnen, um aus dem branchenüblichen jährlichen Rückgang ein Wachstum von 1 bis 2 Prozent zu machen. Als wir das Unternehmen verkauften, erzielten wir das Dreifache unseres Investments.
Eine Frage noch zum Schluss. Täuscht der Eindruck oder fällt es amerikanischen Unternehmen wesentlich leichter als deutschen Firmen, sich erfolgreich in einer Welt des Wandels zu behaupten?
Es gibt keinen ureigenen Grund, warum amerikanische Unternehmen besser auf veränderte Anforderungen reagieren sollten als deutsche. Am Ende geht es einfach um Führung, Struktur und Herangehensweise. Eine deutsche Firma, die mit Lean Management gut aufgestellt ist, wird ein traditionell geführtes amerikanisches Unternehmen jederzeit schlagen.