In Ihrem Unternehmen werden Führungskräfte von den Beschäftigten gewählt – wer ist auf die Idee dazu gekommen?
Das hat sich bei der Bestimmung meines Nachfolgers so ergeben. Wir stellten den Mitarbeitern die Beweggründe für diesen Führungswechsel vor und ließen darüber abstimmen. Schon bald darauf meldeten sich erste Führungskräfte, die sich zur Wahl stellen wollten. Sie sahen Vorteile darin, sich durch das Team bestätigen zu lassen. So hat sich die jährliche Führungskräftewahl etabliert, auch als Anlass, über die eigene Rolle und die Erwartungen aller Beteiligten nachzudenken.
Aber stehen einem solchen System nicht persönliche Befindlichkeiten im Weg?
Natürlich ist eine Entscheidung gegen einen Kandidaten auch eine Erfahrung der Zurückweisung. Wichtig ist, dass ihn das Team anschließend mit offenen Armen empfängt. Doch aus anderer Perspektive betrachtet wählen Mitarbeiter täglich. Fehlt Vertrauen in die Führungsfähigkeiten des Vorgesetzten, werden sie handeln, wie sie es für richtig halten. Oder sie stimmen mit den Füßen ab und verlassen das Unternehmen.
Das widerspricht ganz erheblich dem traditionellen Karriereweg von Führungskräften. Wie verläuft denn bei Ihnen der Aufstieg mit einem solchen Ansatz?
Wir haben uns von der traditionellen Kaminstruktur verabschiedet, zugunsten einer spiralförmigen Karriere. Ehemalige Führungskräfte, die ins Team gehen, kehren gegebenenfalls später als gereiftere Persönlichkeit auf ihre alte Position zurück – oder auf eine höher angesiedelte. Oder sie erkennen, dass sie lieber einen Karriereweg abseits der Führungsrolle verfolgen wollen.
Was braucht man denn aus Ihrer Sicht, um eine gute Führungspersönlichkeit zu sein?
Ganz unabhängig von der Position zunächst einmal die bewusste Entscheidung, im eigenen Verantwortungsbereich führen zu wollen. Daraus erwachsen verschiedene Stile: Einer entscheidet alleine, erklärt und vermittelt aber. Ein anderer holt sich den Input bei Mitarbeitern und entscheidet auf dieser Grundlage. Ein dritter moderiert einen gemeinsamen Prozess hin zur Entscheidung. Vor allen Dingen sollte man keine unangenehmen Entscheidungen delegieren. So überlässt mancher unter dem Deckmantel eines „modernen Führungsstils“ die Organisation von Wochenendschichten den Mitarbeitenden– was nur zu schlechter Energie führt.
Der Aufstieg zur Führungskraft ist in aller Regel mit einem höheren Gehalt verbunden, unabhängig von der Leistung. Ist das noch der richtige Ansatz?
Eigentlich ist dieses Modell vollkommen widersinnig: Ganz unabhängig von meinem Anteil an der Gesamtleistung verdiene ich mehr, allein weil ich eine Vorgesetztenposition habe. Das lockt natürlich auch Menschen in Führungspositionen, die dafür eigentlich nicht geeignet sind oder die andernfalls auch gar kein Interesse daran hätten. Ich denke, dass sich dieses System zugunsten einer leistungsorientierteren Bezahlung ändern wird. Es ist eigenartig, dass wir solche Bedenken gegen individuellere Honorierung im Angestelltenverhältnis haben, es bei Kleinunternehmern wie Bäckern oder Taxifahrern aber für selbstverständlich halten.
Kann denn diese neue Kultur von Führung und Organisation auch in einem klassischen Industrieunternehmen funktionieren?
Schaut man sich viele Mittelständler an, gibt es bereits entsprechende Strukturen, allerdings informell. Der „gute Patron“ hat ein Gespür für Stimmungen und bestimmt entsprechend die Teamleiter. Problematisch wird es, wenn ein weniger talentierter Nachfolger das Ruder übernimmt. Daher ist es sinnvoll, solche Systeme zu formalisieren und verbindlich zu machen. Dasselbe gilt für Innovationen: Mitarbeiter mit einem guten persönlichen Draht nach oben können sich einbringen, die übrigen kommen nicht an. Was man insgesamt nicht vergessen darf: Auch wenn agile Organisationsformen häufig der Softwarebranche zugeordnet werden, liegen ihre Ursprünge im Lean Management und bei einem klassischen Industriebetrieb, nämlich Toyota. Neue technologische Möglichkeiten befähigen außerdem fertigende Betriebe, sehr viel flexibler und agiler zu werden.