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„Wir haben ein Systemproblem.“ 

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August 2, 2022 | Leadership und Organisationsentwicklung

Die Systeme, die in vielen Unternehmen und Organisationen vorherrschen, seien überkommen und dem notwendigen Lernen abträglich, meint Niels Pfläging im Interview mit Janice Köser, Managerin der Akademie bei der Staufen AG. Er plädiert für eine Führung auf Augenhöhe und eine Rückbesinnung auf die Lean-Bewegung, die in den 1980er-Jahren ihren Anfang genommen hat. 

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Zellstrukturdesign 

Der Wirtschaftswissenschaftler wünscht sich für zukunftsorientierte und belastbare Unternehmen agile und radikal selbst organisierte Organisationen. Wie diese entstehen können, erklärt er in seinem zusammen mit der Ökonomin Silke Hermann verfassten Buch „Zellstrukturdesign“: Dafür brauche es, so die Autor*innen, stringente, prinzipienbasierte soziale Ansätze, „Sozialtechnologien“ genannt.  

Ein weiteres Werk der beiden ist das Handbuch „OpenSpace Beta“, in dem sie eine Anleitung dafür entwickeln, wie man Veränderungen ohne das übliche Change Management mit der gesamten Belegschaft innerhalb von 90 Tagen verwirklichen kann. Auch im bald erscheinenden dritten Buch des Duos geht es darum, Unternehmen konkrete Tipps für die Transformation an die Hand zu geben.

Dezentralisierung als Schlüssel 

Die Märkte haben sich in den letzten Jahren rasant verändert, sind merklich volatiler und komplexer geworden. „Zahlreiche Organisationen versuchen diesem Umstand weiterhin mit dem bislang üblichen ‚Maschinenmodell‘ zu begegnen“, erklärt Pfläging. Deshalb sieht er das Problem nicht bei den Beschäftigten, sondern ganz klar im System begründet: Die überkommenen Strukturen bieten nicht genug Raum für die Entfaltung des Geistes und für die Einführung neuer Ansätze. „Die große Herausforderung unserer Zeit liegt darin, dass wir Marktkomplexität nur dann bewältigen können, wenn wir den arbeitenden Menschen die Macht über Entscheidungen zurückgeben“, sagt der Wirtschaftswissenschaftler. Nur mit dieser Form der Dezentralisierung lasse sich der aktuellen Dynamik des Markts wirksam begegnen. 

BetaCodex-Netzwerk für tatsächliche Veränderung 

2008 gründete Niels Pfläging das BetaCodex-Netzwerk: „Das ist eine Bewegung für Wollende“, also für Menschen, die nach einer sinnvollen Alternative für alte Organisationformen mit zentralistischen Steuerungsmechanismen suchen. Am besten ist es laut Pfläging, wenn es sich dabei um Führungskräfte, Manager*innen und Unternehmer*innen handelt, die schon qua Funktion Entscheidungen über die Veränderung ihrer Organisation treffen können. Veränderung, die tatsächlich etwas bewirkt und nicht an der Oberfläche bleibt, ist tief greifend. „Dazu müssen wir wirklich am System arbeiten wollen“, betont Pfläging. 

Dieses Wollen kostet Energie, denn die Veränderung muss in den meisten Fällen im laufenden Betrieb durchgeführt werden. Neben den täglichen Aufgaben und Herausforderungen auch noch einen solchen Wandel in Gang zu setzen und durchzuhalten, ist ein immenser Kraftakt.  


Beweglicher wird man, wenn man Entscheidungen dezentralisiert.

Niels Pfläging,
Speaker, Berater, Unternehmer, Autor

Beweglicher wird man, wenn man Entscheidungen dezentralisiert.

Niels Pfläging,
Speaker, Berater, Unternehmer, Autor

Zwischen Markt und interner Steuerung 

Zunehmend komplexe und dynamische Märkte sind für Unternehmen eine enorme Herausforderung. In der Regel begegnen sie den zahlreichen, ganz unterschiedlichen Anforderungen durch eine strukturierte interne Steuerung, etwa mithilfe von 

  • Budgetierung
  • Unternehmensplanung
  • strategischem Management
  • Zielvereinbarungen
  • Anreizsystemen
  • Plan-Ist-Vergleichen und
  • vielfältigen Regeln und Richtlinien

Vorgegebene Mechanismen führen aber rasch zu mangelnder Flexibilität. „Letztlich sind dadurch alle eingeklemmt zwischen einer oft ins Leere laufenden internen Steuerung und der Macht des Marktes. Das kann einfach nicht funktionieren“, meint Pfläging. Je mehr Regeln es gebe, desto bürokratischer und starrer seien die Abläufe im Unternehmen und desto weniger könne adäquat reagiert werden. Hier setzen Pfläging und Herrmann an: „Beweglicher wird man, wenn man Entscheidungen dezentralisiert.“ Im Buch „Zellstrukturdesign“ wird nachvollziehbar dargelegt, dass Zellen, also kleine Teams, viel besser marktgesteuert und damit unternehmerischer handeln können als große, unflexible Einheiten. 

Dieser Ansatz ist zwar nicht neu, denn er liegt bereits dem Lean-Gedanken zugrunde. Allein: Mit der Umsetzung hapert es bis heute.  

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Die Auswirkungen der
Pandemien

Der verbreiteten Ansicht, dass die Pandemie der Entwicklung in den Unternehmen einen ordentlichen Schub gegeben habe, widerspricht Pfläging. „Ich glaube nicht, dass wir per se schlauer aus dieser Pandemie herauskommen werden, als wir hineingegangen sind“, erklärt er. Vielmehr sei nach wie vor eine Renaissance des Denkens notwendig, eine Beschleunigung des Lernens, in der Schule und anderen Bildungseinrichtungen ebenso wie in Unternehmen. Hier könne die Pandemie allenfalls einen Anstoß geben. In großen Konzernen sei es erforderlich, dass mehrere Tausend Leute gleichzeitig etwas lernten: „Das ist eine große Herausforderung unserer Zeit, weil sich die Welt deutlich verändert und unser Denken in Bezug auf Komplexität und Dynamik noch hinterherhinkt.“ 

dm Drogeriemarkt, Toyota und Handelsbanken 

Es gibt laut Pfläging bereits einige herausragende Unternehmen, in denen dialogisch und auf Augenhöhe geführt wird: Der vor wenigen Monaten verstorbene Gründer der Drogeriemarktkette dm, Götz Werner, hat sein Unternehmen auf diese Weise organisiert. Taiichi Ono sorgte bei Toyota für eine entsprechende Struktur, Jan Wallander bei Svenska Handelsbanken. Die Organisation ist jeweils radikal dezentralisiert, die Filialen treffen viele Entscheidungen selbst. „Das wurde dort konsequent und mit einer fantastischen Leistungstransparenz umgesetzt, eben nicht übergriffig, nicht patriarchalisch“, betont Pfläging.  

Patriarchalische Organisation im Unternehmen ist ein Relikt 

Patriarchalische Erziehungsmethoden in Familie und Schule waren bis weit in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts hinein nicht nur in Deutschland durchaus Usus, gehören dort inzwischen aber weitgehend der Vergangenheit an. Letzte Bastionen des Patriarchentums, das ein Lernen und selbstbestimmtes Arbeiten unmöglich macht, sind nach Ansicht von Pfläging tatsächlich Unternehmen. Verantwortlich dafür sei vor allem eine Kultur der Angst, Angst vor Fehlern und in der Folge Angst vor Verantwortung. Angst verhindere jedoch Lernen und stehe damit der Weiterentwicklung im Weg.  

Es ist Zeit für eine neue Lernkultur 

Damit Unternehmen den Herausforderungen volatiler Märkte gewachsen sind, muss die Art der Unternehmensführung sich grundlegend wandeln, davon ist Niels Pfläging überzeugt. Eine Führung auf Augenhöhe ist dabei unabdingbar. Nur so können Unternehmen unabhängig von ihrem Management agil und handlungsfähig sein – unabhängig davon, wer gerade CEO ist. Den Platz und die Freiheit für eine neue Lernkultur zu schaffen, gelingt nur durch die Beseitigung von überflüssigen Hierarchien und Regeln. Wie es gehen kann, haben dm, Toyota und Svenska Handelsbanken vorgemacht.  

Gesprächspartner

Niels Pfläging

Speaker, Berater, Unternehmer, Autor

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