
„Digitalisierung ist kein Projekt, sondern ein Prozess“
SEW-EURODRIVE ist ein echter Pionier der Industrie 4.0. Der Antriebsspezialist setzt nicht nur in den eigenen 17 Werken seit vielen Jahren auf Digitalisierung, sondern hilft auch seinen Kunden weltweit bei der Fabrikautomation. Jens Kohlhaas, Lean-Inhouse-Consultant bei SEW, und Gero Bockelmann, Smart-Factory-Experte beim Bruchsaler Familienunternehmen, erläutern im Interview, warum Digitalisierung mehr als nur ein Effizienz-Tool ist.
Mit einem Umsatz von zuletzt 3,6 Mrd. Euro und rund 20.000 Mitarbeitenden gehört SEW-EURODRIVE zu den internationalen Marktführern im Bereich Antriebstechnik und Antriebsautomatisierung. Das inhabergeführte Familienunternehmen mit Hauptsitz in Bruchsal ist in der Region verwurzelt und gleichzeitig in 54 Ländern weltweit präsent. Den Anspruch der Technologieführerschaft unterstreicht, dass SEW-EURODRIVE mehr als 800 Mitarbeitende im Bereich Forschung und Entwicklung beschäftigt.
Ein Expertenbeitrag zur Studie 2023 «Zukunft Industrie»
Im INterview mit Jens Kohlhaas undGero Bockelmann, SEW-EURODRIVE GmbH & Co KG
Trotz schwächelnder Konjunktur hat laut der aktuellen Staufen-Studie fast jedes zweite Unternehmen neue Digitalisierungsprojekte angestoßen. Ihr Unternehmen auch?
Jens Kohlhaas: Wie in der gesamten Branche ist auch bei SEW-EURODRIVE in den vergangenen drei Jahren viel passiert. Die Wertschöpfungsketten waren gestört. Trotzdem haben wir viel Aufwand und Energie investiert, um die Digitalisierungsprojekte weiter voranzutreiben. Das Spektrum reicht vom unternehmensweiten Projekt „Smart for SEW“, in dessen Kern die Umstellung auf SAP S/4HANA steht, über zahlreiche Produktentwicklungen bis hin zu Optimierungen in wertschöpfenden Prozessen.


Gero Bockelmann
Digitalisierungsprojekte sind oft ein Rantasten: Man weiß, dass man etwas tun muss, aber nicht, wie man wirklich das Beste rausholt.
Wie die Studie weiter zeigt, geht es bei den meisten Digitalisierungsprojekten um eine Steigerung der Effizienz. Nur jedes dritte Unternehmen denkt auch in Richtung neue Geschäftsmodelle. Reicht das aus, um nicht nur durch die Krise zu kommen, sondern auch darüber hinaus zukunftsfähig zu bleiben?
Gero Bockelmann: Digitalisierungsprojekte sind oft ein Rantasten: Man weiß, dass man etwas tun muss, aber nicht, wie man wirklich das Beste rausholt. Aus diesem Grund fangen viele mit Projekten zur Effizienzsteigerung an. Im Zuge dieser Maßnahmen beginnen die Mitarbeitenden, immer „digitaler zu denken“. Diese veränderte Denkweise hat wiederum Auswirkungen auf die Entwicklung der gesamten Organisation. Es muss aber klar sein, dass das nur der erste Schritt ist; denn die Effizienzsteigerung im eigenen Werk ist zwar schön, aber die großen Vorteile der Digitalisierung entstehen erst durch alternative Geschäftsmodelle.
Jens Kohlhaas: Die Vorreiter der Industrie 4.0 haben neben der Technologie auch immer bereits ein Geschäftsmodell im Hinterkopf. Bei uns sind hier die eigenen Werke eine fantastische „Spielwiese“, um neue Technologien und Herangehensweisen zu erproben. Immer vor dem Hintergrund, daraus später auch neue Produkte zu entwickeln. Wir nutzen die Digitalisierung also zur eigenen Effizienzsteigerung, sehen aber stets auch das Potenzial, unsere Lösungen an den Markt zu bringen. Ich denke, bei anderen Unternehmen, die sich intensiv mit Digitalisierung auseinandersetzen, ist das ähnlich.
Fast scheint es, als gebe es bei der Digitalisierung eine Zweiteilung der Wirtschaft. Die eine Hälfte geht sehr engagiert damit um, während die andere Hälfte bei Test- und Einzelprojekten verharrt. Stimmt dieser Eindruck?
Jens Kohlhaas: So hart würde ich die Linie nicht ziehen. Ein Unternehmen wie SEW-EURODRIVE, dessen Kerngeschäft durch die Digitalisierung stark beeinflusst wird, beschäftigt sich selbstverständlich intensiv mit diesem Thema. Beispiel: Wurden früher Antriebe für klassische Förderbänder benötigt, erfordert der Trend zur Automation und Flexibilisierung in der Intralogistik heute ganz andere Produkte mit größeren Funktionsumfängen hinsichtlich Steuerung und Vernetzung. Firmen hingegen, deren Kerngeschäft nicht so unmittelbar betroffen ist, sind hier sicherlich noch zurückhaltender.
Keine andere Digitalisierungstechnologie hat in den vergangenen Monaten für so viel Aufregung gesorgt wie künstliche Intelligenz. Wie geht SEW-EURODRIVE damit um?
Gero Bockelmann: Bei uns gibt es KI-Projekte im Einkauf und im Vertrieb, wo verschiedene Tools im Rahmen der Digitalisierungsstrategie bereits ausprobiert werden. Auch in den Entwicklungsbereichen ist KI schon ein Thema – hier entstehen gerade erste Ideen für neue Geschäftsmodelle und Produkte. Die intensive Beschäftigung mit dem Thema ist der erste wichtige Schritt, um zukünftig am Markt agieren zu können.
Viele Unternehmen geben derzeit Jahreszahlen heraus, bis wann sie klimaneutral sein wollen. Haben Sie für Ihr Unternehmen eine Zielmarke, bis wann man komplett digitalisiert sein möchte?
Gero Bockelmann: Um unseren Digital Transformation Officer zu zitieren: „Die Digitalisierung ist kein Projekt, sondern ein Prozess, der die Firma auch künftig begleiten wird.“ Es sind schon viele Technologien da, diese werden sich aber permanent weiterentwickeln.


Gero Bockelmann


Jens Kohlhaas
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