Dürr Brasil setzt auf Lean Prinzipien, um seine Kultur zu verändern und das Vertrauen seiner Kunden zu gewinnen

Lean Management

Dürr ist eines der weltweit führenden Unternehmen im Maschinen- und Anlagenbau mit großer Erfahrung in den Bereichen Automatisierung und Digitalisierung. Das Unternehmen ist heute Marktführer in den Bereichen Hightech-Maschinen und Robotertechnik für die Automobilindustrie. Von seinen in Sao Paulo günstig gelegenen Werken aus bedient Dürr Brasil den gesamten südamerikanischen Markt. Bereits am Anfang seiner Lean Transformation erkannte das Unternehmen, dass es seinen Erfolg nicht nur seiner Technologie, sondern in gleichem Masse seinen Mitarbeitenden verdankt.

TECHNOLOGIEZENTRUM BIETIGHEIM-BISSINGEN
In Bietigheim-Bissingen betreibt Dürr das weltweit größte Technologiezentrum für Lackapplikationstechnik in der Automobilindustrie. Hier werden neue Produkte entwickelt und Lackierprozesse vor dem Großserieneinsatz getestet.

Wir sprachen mit Roberto Tkatchuk, der seit über zehn Jahren Präsident von Dürr Brasil ist. Der studierte Ingenieur lehnte jahrelang Kulturveränderung in der brasilianischen Niederlassung ab. Vor vier Jahren fasste er dann doch den Entschluss, die in Deutschland umgesetzten Veränderungen auch nach Brasilien zu bringen. Heute ist er einer der größten Verfechter der lean Transformation in der gesamten brasilianischen Industrie.

„Ich habe mich entschlossen, meinen Mitarbeitenden zu vertrauen.“

ROBERTO TKATCHUK
Präsident
Dürr Brasil Ltda

Herr Tkatchuk, wie haben Sie die Transformation bei
Dürr erlebt? Wie war es für Sie, diese Transformation
zu leiten? Haben Sie immer darauf vertraut, dass sie
funktionieren würde?

Ich habe viele Jahre meines Lebens in Managementkursen verbracht. Das große Problem in der Geschäftswelt ist, dass man zwar zuhört, aber die Realität nicht erlebt, sie nicht wirklich aus erster Hand fühlt. Dafür bin ich ein typisches Beispiel. Als Ingenieur nahm ich immer an, dass wir alles mit Verfahren und Regeln, Maschinen, Geräten und Computerprogrammen lösen können. Einfach, indem man den Leuten sagt, was sie tun sollen. Das war mein Denkfehler.

Nachdem ich über 30 Jahre in diesem Bereich gearbeitet hatte, war
ich frustriert, keine magische Formel gefunden zu haben, wie ich die
Effizienz meines Teams steigern konnte. Vor vier Jahren habe ich endlich eine Kulturveränderung angestoßen. Aus heutiger Sicht hätte ich dies viel früher tun sollen. Ich habe mich dann entschlossen, meinen Mitarbeitenden zu vertrauen. Ich kam von einem Meeting in der Zentrale zurück und war begeistert von dem, was ich dort gesehen hatte.

Man begann gerade mit der Anwendung von Lean Prinzipien. Ich dachte: Das ist einfach, das kann ich selbst machen. Ich hänge einfach einige Poster an die Wand. Das funktionierte aber offensichtlich nicht. Dann lernten wir Staufen kennen. Am Anfang unserer Zusammenarbeit konzentrierten wir uns auf die Managementteams. Zu diesem Zeitpunkt war ich schon von Lean überzeugt, aber die Umsetzung der Veränderung im gesamten brasilianischen Team hat viel Geduld gefordert. Das ist ein langer Prozess, der nicht über Nacht passiert. Er verlangt Kontinuität. Das ist etwas, das nie fertig wird.

Wir sind ständig dabei, Konzepte zu überprüfen und unsere Prozesse zu verbessern. Mit der Zeit konnten wir die Mitarbeitenden überzeugen. Das Seniormanagement stand der Maßnahme offen gegenüber. Nach und nach sahen die Mitarbeitenden auf der operativen Ebene – insbesondere die Ingenieure – die ersten Ergebnisse und waren bereit, mitzumachen. Es war ein natürlicher Prozess, aber zweifelsohne muss es ein Top-down-Prozess sein.

Wie hat sich die Umsetzung der Lean Prinzipien bei Dürr bisher ausgewirkt?

Wenn wir über Lean Prinzipien sprechen, nennen wir immer Zahlen, richtig? Bei Dürr sind die Zeiten vorbei, in denen man „Kennzahlen erstellt, die den Chef bei Laune halten”. Die Kennzahlen dienen nun einem sinnvollen Zweck, und jedem ist klar, was er wie zu tun hat. Früher konzentrierte sich das Kennzahlenmanagement darauf, mich zufriedenzustellen. Jetzt arbeitet jeder Manager auf der Basis seiner eigenen Kennzahlen und konzentriert sich auf die tatsächlichen Bedürfnisse seines jeweiligen Bereichs.
Auch der Anstoß für Verbesserungen kam von oben. Jetzt muss ich mich nicht mehr darum kümmern. Es ist in der Kultur verwurzelt. Jeder Mitarbeitende erarbeitet seine eigenen Verbesserungsprognosen und übernimmt die Verantwortung dafür. Wir erzielen seit Jahren positive Ergebnisse. Dennoch gibt es ein paar Lean Prinzipien, die unsere Ergebnisse noch weiter verbessert und für Stabilität gesorgt haben. Wir haben in einem hart umkämpften Umfeld exklusive Verträge akquiriert. Mithilfe der Lean Prinzipien haben wir eine transparente Beziehung zu unseren Kunden geschaffen, die von Vertrauen und Partnerschaft geprägt ist. Wir laden unsere Kunden zu Dürr ein, damit sie unsere Abläufe kennenlernen können. In der Tat ist das sogar zu einer Marketingstrategie geworden. Wenn sie hierherkommen und erleben, wie transparent wir mit Informationen oder Fehlern umgehen, Probleme ansprechen und lösen, wächst ihr Vertrauen in uns.

Jenseits von Kennzahlen haben sich die Lean Prinzipien zu einer Marketingstrategie entwickelt, die unsere Transparenz zeigt und uns näher an den Kunden heranrückt. Wir können vertrauensvolle und partnerschaftliche Beziehungen aufbauen.“

MADE IN GERMANY FÜR DIE GANZE WELT
Alle Dürr-Lackierroboter werden im Kompetenzzentrum Bietigheim-Bissingen montiert und programmiert. Danach treten sie ihre Reise in Automobilwerke auf der ganzen Welt an

Was sind Ihre Erwartungen für die Zeit nach der Krise?

Im Hinblick auf unsere Lean Reise wollen wir das, was wir bisher
aufgebaut haben, festigen und konsolidieren und die Dinge in Angriff nehmen, die noch auf uns zukommen. Was die aktuelle Wirtschaftslage angeht, stehen wir mit beiden Beinen auf dem Boden. Die Automobilindustrie befindet sich nach wie vor in einem gewaltigen Umbruch, bei dem es neben der Krise auch vor allem um das Thema Elektroauto geht.

Tatsächlich wird seit vielen Jahren darüber gesprochen, aber die Autohersteller und die Lobby der Ölgesellschaften haben Schritte unternommen, um diesen Prozess zu verzögern. Durch den Druck der globalen Märkte gewinnt das Thema jetzt an Fahrt. Derzeit investiert weltweit niemand auch nur einen Cent in die konventionelle Autoindustrie.

Dürr ist Weltmarktführer im Fabrikbau. Wir halten derzeit einen Marktanteil von 70 Prozent. In den USA sind 80 Prozent unseres aktuellen Kundenportfolios Elektroauto-Start-ups – das sind etwa 20 Unternehmen. Darüber hinaus kommen 50 Prozent unseres Nettoumsatzes aus China, wo etwa 50 unserer Kunden Elektroauto-Start-ups sind. Es ist ein neuer Markt, der sich festigen wird. Wir wissen, dass sich die Spielregeln geändert haben.

Global investiert Dürr derzeit zwischen 5 und 8 Prozent in Forschung und Entwicklung, wie zum Beispiel in das Testen von selbstfahrenden Autos, in die Batterieherstellung usw. Dennoch ist Brasilien in dieser Hinsicht immer noch ein Problem. Wir fallen immer mehr zurück. Industrien außerhalb Brasiliens müssen ihre laufenden Investitionen zunächst durch Exporte amortisieren und können erst anschließend, nach rund zehn Jahren, hier investieren.

Wenn ich in die Zukunft schaue, denke ich, dass unsere konventionelle Automobilindustrie über die nächsten zehn bis 15 Jahre langsam sterben wird. Unser großer Vorteil hier bei Dürr ist, dass wir auch außerhalb des Landes mit den neuen Technologien vertraut sind. Ich bringe meinen Kunden in Brasilien alles bei, was sie über Technologie wissen müssen. Meine Konkurrenten sind entweder pleite oder in sehr schlechter Verfassung. Auch wenn der Markt deutlich geschrumpft ist, befinden wir uns derzeit in einer Situation des eingeschränkten Wettbewerbs. Allerdings bin ich nicht so arrogant zu glauben, dass die Kunden jetzt keine andere Wahl haben, als mich zu akzeptieren. Im Gegenteil: Wir wollen Win-win-Partnerschaften schaffen und die Lean Prinzipien haben uns dabei einen deutlichen Auftrieb beschert.

ENDMONTAGE
Dürr bietet weltweit schlüsselfertige Lösungen für Neuanlagen und Umbauten in der Automobilendmontage
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Zur Veranschaulichung verwenden wir bei Dürr gerne das Bild des „Unternehmers im Unternehmen“. Als globaler Anlagenund Maschinenbauer mit Einzel-projekten im Wert von über 100 Millionen Euro brauchen wir Mitarbeiter mit einem hohen Maß an Kundenorientierung, Flexibilität und Eigen-verantwortung. Hierbei ist es essenziell, ausreichend Freiräume zu geben, zum Beispiel in Form flacher Hierarchien und kurzer Entscheidungswege. Außerdem schulen wir unsere Mitarbeiter darin, Probleme frühzeitig zu identifizieren, selbstständig Lösungen zu entwickeln und Entscheidungen zu treff en. Grundlage hierfür sind das Vertrauen und die Orientierung durch die eigene Führungskraft. Außerdem leben wir eine Kultur, in der Fehler erlaubt sind, angesprochen und korrigiert werden, anstatt sie totzuschweigen. Das Motto muss lauten: Ein Fehler ist der Auftakt zu einem nachhaltigen Verbesserungs-prozess – ein Verständnis, das wir noch stärker im Unternehmen verankern wollen, u. a. auch durch die Einführung von Shopfloor Boards.

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