Prozesse statt Personen
Ein wenig anders ist beim Maschinenbauer Arburg vieles. Denn wenn 80 Prozent der eingekauften Materialien aus einem Radius von weniger als 100 Kilometern stammen und die Fertigungstiefe mehr als 60 Prozent beträgt, entspricht das nicht gerade einem globalen Outsourcing-Zeitgeist. Erfolgreich ist das Unternehmen aus dem Nordschwarzwald aber dennoch – oder vielleicht gerade deshalb … Mit Sicherheit aber auch deswegen, weil es sein besonderes Business-Modell klug an Veränderungen anpasst, zum Beispiel in der Produktentwicklung.
Das Jubiläumsjahr zum 100-jährigen Bestehen ist in vollem Gange. Was mit einer kleinen feinmechanischen Manufaktur für chirurgische Instrumente begann, ist heute zu einem der Marktführer für Spritzgießmaschinen erwachsen. Der Erfolg ist vermutlich auch einem besonderen Mindset zu verdanken: „Der Gründer Arthur Hehl hat diese Firma 1923 nicht gegründet, weil es so hip war, ein Start-up-Unternehmen zu sein, sondern man hat wie viele andere schwäbische Unternehmen in dieser Zeit schlicht und ergreifend ‚ums Überleben‘ entwickelt oder erfunden“, so beschreibt Dr. Christoph Schumacher, Bereichsleiter Global Marketing bei Arburg, die Anfänge des Unternehmens. „Das macht natürlich etwas mit der Unternehmenskultur. Vielleicht waren wir deshalb immer in der Lage, trotz schwäbischer Sparsamkeit und eher langfristig ausgelegter Planung auch Disruptionen und deren Chancen zu erkennen.“
Ein Innovationssprung war die erste von Hand zu bedienende Spritzgießmaschine aus dem Jahr 1954, die 1956 in Serie ging – ein Schritt von der Metallbearbeitung zur Kunststoffverarbeitung. 1961 folgte der „Allrounder“, eine einzigartige und sehr flexibel einsetzbare Spritzgießmaschine. 2023 hat Arburg pünktlich zum Firmenjubiläum die – nomen est omen – „Jubiläums-Maschine“ aus der Taufe gehoben, auch als Startschuss für eine neue Maschinengeneration von Arburg. Dabei handelt es sich um eine besonders energieeffiziente, ressourcenschonende, modular aufgebaute hybride Spritzgießmaschine, deren Konzept bei voller Optionalität die Vorteile einer hydraulischen und elektrischen Spritzgießmaschine vereint – das ist ein Alleinstellungsmerkmal am Markt.
Ein Unternehmen mit unkonventionellem Ansatz
Christoph Schumacher attestiert dem Unternehmen einen durchaus positiv gemeinten „Eigensinn“. Während viele Firmen in den letzten Jahrzehnten immer mehr Outsourcing betrieben und Lieferketten sowie Produktionsstandorte in Billiglohnländer verlagerten, blieb Arburg bei der Produktion an einem einzigen Standort im Schwarzwald und einer Lieferantenstrategie, bei der 80 Prozent der Einkaufsteile in einem Radius von 100 Kilometern bezogen werden. Während früher BWL-Studentinnen und -Studenten diesen Ansatz bei Werksbesuchen immer wieder belächelten, sind die Vorteile spätestens seit Corona und der Ukraine-Krise klar: stabile Lieferketten mit kurzen Wegen ohne Versorgungsengpass. Ganz nebenbei fördert Arburg so eine nachhaltige Entwicklung der gesamten Region.
Mit dem neuen Produktentwicklungsprozess tragen wir dem Unternehmenswachstum
BERND KOHLER
Rechnung und machen uns fit für die Zukunft.
Abteilungsleiter Produktentwicklung, ARBURG GmbH + Co KG
Wandel mit Augenmaß gestalten
Den eigenen Weg zu gehen, bedeutet aber mitnichten, dass Arburg auf der Stelle tritt. Bereits im Jahr 2020 wurde mit Unterstützung der Staufen AG die Einführung eines erweiterten und alle Technikbereiche umfassenden Shopfloor Management gestartet, das mehr Transparenz für die Beteiligten bietet und die interne Kommunikation verbessert hat. Im Rahmen der Entwicklung der „Jubiläums-Maschine“ hat das Unternehmen als nächsten logischen Schritt seinen Produktentwicklungsprozess (PEP) neu aufgelegt.
„Früher basierten viele Prozesse auf der gewachsenen Erfahrung bestimmter Personen“, sagt Bernd Kohler, „das funktioniert ab einer bestimmten Firmengröße nicht mehr, insbesondere, wenn immer mehr Menschen an der Entwicklung einer Maschine beteiligt sind.“ Kohler ist Abteilungsleiter im Bereich Produktentwicklung bei Arburg und war als Projektleiter in die Entstehung des neuen Prozesses involviert. Bei der Überarbeitung des PEP wurden unter anderem neue Projektrollen definiert und die Zusammenarbeit über klare Verantwortlichkeiten vereinfacht. Mithilfe einer Leistungsschnittstellenmatrix, von Ablaufdiagrammen und Mustervorlagen ist der Prozess nun klar beschrieben. Über Reifegrade wird der Stand der Entwicklung transparent gemacht, das ermöglicht eine effektive Projektsteuerung. „Der Projektleiter wird durch diese Vorlagen unterstützt und kann sicherstellen, dass die richtigen Abteilungen zum richtigen Zeitpunkt einbezogen werden“, so Bernd Kohler.
„Wir erreichen auf diese Weise eine viel höhere Transparenz bei der Entwicklung und können sehr schnell kritische Punkte aufdecken und entsprechend früh handeln.“ Seine Kollegin Alena Springer, Projektleiterin in der Entwicklung, kann das bestätigen: „Wir sind wesentlich effizienter. Während ich früher den passenden Ansprechpartner suchen musste, ist das heute durch den Prozess eindeutig definiert und wir können niemanden vergessen. Auch die Kolleginnen und Kollegen aus dem Montagebereich sind begeistert, jetzt noch früher einbezogen zu werden und bereits vor der Entstehung eines Prototyps ihr Feedback geben zu können. Sie erfahren also zeitnah, was kommt und worauf sie achten müssen, was uns die eine oder andere Korrekturschleife erspart. Wir arbeiten jetzt noch enger zusammen.“ Auch für neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ist das ein Vorteil: Die Transparenz des dokumentierten Produktentstehungsprozesses reduziert die Einarbeitungszeit und stellt sicher, dass alle gleich arbeiten.
Prozessoptimierung ist Zukunftssicherung
Wie aber ließen sich die Lean Management-Ansätze der Staufen AG ins Modell Arburg integrieren? Bedeutet die hohe Wertschöpfung im Haus doch, dass viele Prozesse per se anders sind als bei anderen Unternehmen. Bernd Kohler erläutert: „Wir mussten im Projekt die vielen Wertströme und Schnittstellen im Haus berücksichtigen und entsprechend integrieren. Wir haben also das theoretische Modell für uns ganz praktisch maßgeschneidert.“ Aus diesem Grund ist es auch nicht verwunderlich, dass das aus 18 Personen bestehende Projektteam über ein Jahr an der Implementierung gearbeitet hat.
Dieser lange Atem hat sich gelohnt, darin sind sich die Verantwortlichen einig, und zwar nicht nur für die Produktenwicklung. „Mit dem neuen Prozess wird verhindert, dass durch das Wachstum des Unternehmens die Arbeit ineffizienter und komplizierter wird. Insofern ist das auch eine Maßnahme, die die Zukunftsfähigkeit sichert“, resümiert Christoph Schumacher. Ähnlich sieht es Gerrit Speidel, der verantwortliche Berater bei der Staufen AG: „Arburg ist ja nicht nur ein Maschinenhersteller, sondern ein Branchenpartner, der die immer anspruchsvoller werdenden Kunden- und Marktbedürfnisse versteht. Gerade bei komplexen Themen wie der Nachhaltigkeit braucht es Lösungen, die nur durch die enge Zusammenarbeit interdisziplinärer Teams geschaffen werden. Und genau dafür haben wir mit dem neuen PEP eine optimale Basis geschaffen, mit der Arburg auch in Zukunft weiter skalieren kann.“
Beteiligte Personen
Dr. Christoph Schumacher
Bereichsleiter Global Marketing
ARBURG GmbH + Co KG
Alena Springer
Technische Projektleiterin
ARBURG GmbH + Co KG
Bernd Kohler
Abteilungsleiter Produktentwicklung
ARBURG GmbH + Co KG
Das Unternehmen
Das Maschinenbauunternehmen Arburg GmbH + Co KG aus Loßburg (Baden-Württemberg) gehört zu den weltweit führenden Herstellern von Spritzgießmaschinen und additiven Fertigungssystemen für die Kunststoffverarbeitung. Die Maschinen werden ausschließlich in Loßburg gefertigt.
1923
gegründet
35
Standorte weltweit
3.600
Mitarbeitende
875
Mio. € Umsatz
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