Man muss kein grosser Prophet sein, um vorherzusagen, dass Supply-Chain-Netzwerke niemals sicher sein werden. Die Herausforderungen werden auf absehbare Zeit nicht kleiner. Im Gespräch erläutert Thomas Spiess, Senior Manger Staufen.Inova, wie Unternehmen durch Transparenz mehr Resilienz in der Supply Chain schaffen.
Obwohl sich die Situation in den Supply Chains in den letzten Monaten wieder etwas entspannt hat, kämpfen viele Unternehmen immer noch mit Versorgungsproblemen. Woran liegt das?
Thomas Spiess: Viele global aufgestellte Unternehmen agieren in komplexen Wertschöpfungsnetzwerken, die auf Effizienz, Kosten und Marktnähe ausgerichtet sind. Doch je grösser das Netzwerk der beteiligten Partner ist, desto schwieriger wird es, alle Anforderungen im Blick zu behalten. Schwache Supply Chains haben im Krisenfall nur einen geringen Puffer, bis sich die Störung auf das Leistungsniveau auswirkt. Und sie erholen sich nur langsam oder kehren nie wieder zu ihrer früheren Leistungsfähigkeit zurück. Viele Unternehmen wissen heute, dass sie Nachholbedarf in der Steuerung ihrer Supply Chain haben und dass die Planung kein O8/15 Prozess ist, sondern individuell auf das Unternehmen abgestimmt werden muss. In unserer aktuellen Studie bemängelt immer noch mehr als die Hälfte der Unternehmen, dass es Defizite in der Zusammenarbeit mit den Partnern gibt. Hier gilt es, die Maschen des Netzwerks enger zu knüpfen.
Müssen sich die Unternehmen also darauf einstellen, dass es immer wieder zu Störungen kommen wird?
Thomas Spiess: Ja, wir sind zwar keine Hellseher, aber die Welt wird nicht einfacher, sondern komplizierter. Wissenschaftliche Studien zeigen, dass sich Herausforderungen in immer kürzeren Abständen negativ auf Supply-Chain-Netzwerke auswirken werden.
Wie können sich Unternehmen dagegen wappnen?
Thomas Spiess: Anfang Juni hatten wir in Zürich ein Rethink-Event bei der Sportmarke On. Dort erfuhren die Gäste, wie wichtig ein erfolgreiches Sales und Operations Planning für die Steuerung der Supply Chain ist.
Haben Sie ein Beispiel dafür, wie das aussehen kann?
Thomas Spiess: Wir konnten das On-Team für einen Vortrag gewinnen. Hannes Frei, Manuel Wegmann und Samuel Frei haben uns das Zusammenspiel von Global Sales & Operations Planning und dem regionalen Sales & Operations Executive Process in ihrer Matrixorganisation erläutert. Vereinfacht dargestellt geht es darum, dass ein Team von Entscheidungsträgern die globale Ausrichtung in der Supply Chain vornimmt. Sie sorgen dafür, dass die Produkte von den Fabriken in die weltweiten Lagerzentren gelangen. Von dort aus übernehmen regionale Teams die Auslieferung der Waren an die Kunden.
Und das funktioniert?
Thomas Spiess: Ja, das funktioniert, weil On ein datengetriebenes Unternehmen ist. Die gesammelten Daten werden in regelmässigen Meetings ausgetauscht und Entscheidungen werden dann auf dieser Basis getroffen und nicht aus dem Bauch heraus. So kann On die Nachfrage schnell einschätzen, Risiken minimieren und auf Schocks reagieren.
Staufen.Inova hat ein Reifegradmodell für das Sales und Operations Planning entwickelt. Wo steht On hier aus Ihrer Sicht?
Thomas Spiess: In meiner Zeit als Berater habe ich noch kein Unternehmen kennengelernt, das in der Sales- und Operations-Planung alles perfekt macht. On sagt ja von sich selbst, dass sie alles andere als perfekt sind. Aber im Staufen.Inova-Reifegradindex, der von 1 „Reagieren“ bis 5 „Orchestrieren“ reicht, ist On meiner Meinung nach schon sehr weit.
Kann KI in der Supply Chain künftig die Wettbewerbsfähigkeit weiter verbessern?
Thomas Spiess: Ja, KI hilft Unternehmen, auf der Basis ihrer Daten vorausschauende Entscheidungen zu treffen. Solche Vorhersagen können unter anderem für den Austausch mit Lieferanten genutzt werden. Für viele Unternehmen geht es aber zunächst darum, Excel-Listen und E-Mails abzuschaffen, eine geeignete Datenstrategie zu entwickeln und die Digitalisierung in der Supply Chain voranzutreiben.