Mehr Business, mehr Planet
Wir befinden uns an einem Kipppunkt. Und damit meinen wir an dieser Stelle nicht die exponentiell negative Spirale von Extremwetterereignissen, Wasserknappheit oder Klimaerhitzung – zumindest nicht ganz direkt. Der Kipppunkt, den wir meinen, ist vielmehr gesellschaftlicher Art: Die C-Levels einer großen Zahl von Unternehmen meinen es plötzlich ernst mit der Öko-Transformation. Zumindest, wenn man verfolgt, wie häufig mittlerweile die Aussage auftaucht, dass ein Unternehmen Nachhaltigkeit „in der eigenen DNA verankert“ habe. Fakt ist: Unternehmen begreifen heute, dass sie eine der größten Ursachen unserer planetaren Probleme sind. Der Meeresspiegel steigt – „the sealevel is rising“ – und das C-Level „is rising, too“, es steht auf und Unternehmen fangen endlich an, etwas „zu unternehmen“.
Ein Kernelement der Transformation wird es sein, dass „in der DNA verankert“ kein Lippenbekenntnis bleibt, sondern wirklich umgesetzt wird. Aber wo sitzt die DNA von Unternehmen? Natürlich im Geschäftsmodell! In der Art und Weise, wie Unternehmen Wert für ihre Kund*innen stiften, dafür Erlöse erwirtschaften, sodass unterm Strich eine positive Rendite und/oder Wachstumsaussicht herauskommt. Unsere These: Wenn Unternehmen angesichts der sich immer weiter zuspitzenden planetaren Probleme vom Problem zum Teil der Lösung werden wollen, müssen sie ihre Geschäftsmodelle gezielt neu gestalten. Und paradoxerweise können sie sich in dieser Sache von – ja, tatsächlich – Amazon inspirieren lassen. Warum gerade dieses hyperkapitalistische, allen ökosozialen Wertvorstellungen entsagende Monstrum? Na, das lassen wir an dieser Stelle mal als kleinen Cliffhanger stehen …
… und nähern uns zunächst der Frage nach der Gestaltung von Geschäftsmodellen. Im systematischen und bewussten Design dieser „DNA“ liegt ein enormer Erfolgshebel, nämlich die Möglichkeit, die Wertschöpfung anhand von Nachhaltigkeitsaspekten ganz gezielt umzugestalten und damit nicht nur unser aller Zukunft, sondern eben ganz konkret und greifbar auch die des eigenen Unternehmens zu retten – einfach mal abzuwarten funktioniert in dieser gerade sich vollziehenden und rein rational unumstößlich notwendigen Nachhaltigkeitstransformation noch schlechter als in allen anderen Transformationen zuvor. Wenn wir selbst nichts tun, tun es andere, oder „es geschieht“ einfach. Das Schlagwort Disruption als schwer kalkulierbarer Risikofaktor erweitert hier die Umfeldfaktoren um zahlreiche miteinander verwobene Umweltfaktoren. Transformationen im Geschäftsmodell sind komplex, die strategische Abwägung unternehmensspezifisch – die Richtung ist jedoch klar: Im Grunde geht es darum, tatsächlich Wert zu stiften, ohne andernorts Wert, also Ressourcen, Lebensgrundlagen etc., zu zerstören. Klingt erst mal banal, doch die meisten Geschäftsmodelle funktionieren heute leider (noch) nicht so.
Schauen wir uns beispielsweise den Unterschied an zwischen einer herkömmlichen Joghurt-Brand und einem Beispiel aus unserem Buch, nämlich der Firma Danone Grameen, die in Bangladesch mit nährstoffhaltigem Joghurt die Unterernährung von Kindern bekämpft. Das zweite Geschäftsmodell beruht auf einem Vertriebsmodell, das zusätzlich zum Wert des Produkts Arbeitsplätze schafft, denn die ultragünstigen Joghurts werden nicht nur vor Ort hergestellt, sondern auch mit einem Provisionsmodell von meist weiblichen Mitarbeiter*innen in jede noch so entlegene Gemeinde transportiert. Der Geschäftsmodellbaustein „an die Kund*innen bringen“ ist also ganz bewusst anhand von ökosozialen Kriterien gestaltet und optimiert.
Das bedeutet: Wenn wir Geschäftsmodelle clever gestalten, können wir letztendlich regenerative Geschäftsmodelle erschaffen, die durch ihr Wirtschaften soziale Gefüge festigen, die Natur und Ressourcen regenerieren und gleichzeitig für ihre Kund*innen nützliche Produkte und Services anbieten. Das ist eine Entwicklung, die gerade erst Fahrt aufzunehmen beginnt. Sie ist eng verknüpft mit der Denkweise rund um die Kreislaufwirtschaft sowie Cradle-2-Cradle, geht aber durch die Betrachtung von Geschäftsmodellen über die Gestaltung von Produkten hinaus.
Wir haben das Modell im Buch „regenerative Schwungräder“ genannt – in Anlehnung an die „Flywheels“ des amerikanischen Business-Autors Jim Collins. Die Metapher kommt aus der Physik. Schwungräder werden durch einen initialen Impuls angetrieben und beschleunigen sich dann selbst immer weiter. Das wohl bekannteste unternehmerische Schwungrad hat Amazon-Gründer Jeff Bezos erschaffen. Hier zahlen die Unternehmensbereiche jeweils positiv aufeinander ein, sodass ab einem bestimmten Punkt eine Wachstumsdynamik einzusetzen beginnt, und zwar aus dem Geschäftsmodell heraus. Abgesehen davon, dass dieses Unternehmen selbst wohl keinen Preis für überaus hohe ökologisch-soziale Ambitionen erhalten würde, kann man also sehr viel von ihm lernen. Denn wer Wachstum und Planet (also ökologisch-sozialen Impact) im Zentrum des Schwungrads verknüpft, erzeugt eine reziprok positive Dynamik, in der mehr Business zu „mehr Planet“ führt und vice versa, sodass ökonomisches und ökologisches Wachstum verschränkt skalieren. Nachhaltigkeit wird so vom Kostenfaktor für Unternehmen zur Chance und findet tatsächlich ihren Weg in die „DNA“ des Unternehmens.
Jule Bosch und Lukas Bosch sind selbstständige Consultants, Speaker und Autor*innen. Auf der Basis von Megatrends und Design Thinking stellen sie den Status quo infrage und sorgen sowohl in Beratungsprojekten als auch mit eigenen Unternehmungen dafür, dass Nachhaltigkeit als Disruptions- und daher vor allem als Business-Potenzial erkannt wird. Gemeinsam haben sie das Biodiversity-Start-up Holycrab! gegründet und das im Campus Verlag erschienene Buch „ÖKOnomie“ geschrieben.