Gefahren im Supply Chain Network rechtzeitig erkennen
Viele Unternehmen agieren heute in globalen Netzwerken. Doch externe Faktoren wie Materialmangel, extreme Wetterereignisse oder handelspolitische Auseinandersetzungen bergen Risiken in der Zusammenarbeit, die häufig viel zu spät erkannt werden. Die Folgen sind ernst und meist auch teuer. Wie gelingt es Unternehmen, rechtzeitig die notwendige Transparenz zu schaffen?
Diese Bilder gingen um die Welt: Auf den wichtigsten Seehandelsrouten steckten Containerschiffe vor Häfen im Stau und warteten auf ihre Abfertigung. Komponenten, Ersatzteile und Rohstoffe, die just in time geliefert und in der Industrie weiterverarbeitet werden sollten, lagerten stattdessen in aufgestapelten Containern und warteten darauf, endlich abgeholt zu werden.
„Ereignisse wie die Corona-Pandemie oder der Krieg in der Ukraine haben vielen Unternehmen schmerzlich gezeigt, wie hoch die Kosten und Verluste von Störungen im Supply Chain Network sein können“, sagt Canan Jungel, Principal, Staufen AG. Sie reichen von Vertragsstrafen über Produktionsstillstände und Umsatzeinbußen bis hin zu langfristigen Reputationsschäden.
Supply Chain Network Management (SCNM)
Unternehmen sind heute in komplexe Wertschöpfungsnetzwerke eingebunden. Güter werden weltweit beschafft, Erzeugnisse über verzweigte Vertriebskanäle distribuiert. Die Anzahl der an der Wertschöpfung beteiligten Partner hat über alle Stufen massiv zugenommen und ließ Supply Chains in Länge und Komplexität wachsen. Durch ein schlankes, globales Fertigungsmodell erzielten Unternehmen massive Verbesserungen bei Lagerbeständen, pünktlichen Lieferungen und kürzeren Durchlaufzeiten. Dieses Betriebsmodell hat dennoch unbeabsichtigten Konsequenzen: Die komplizierten Produktionsnetzwerke wurden auf Effizienz, Kosten und Marktnähe ausgelegt, aber nicht unbedingt auf Transparenz oder Widerstandsfähigkeit. Aktuell operieren sie jedoch in einer Welt, in der Störungen regelmäßig auftreten.
Einflussfaktoren und Treiber des SCNM
Regierungspolitik / politische Stabilität / Korruption / Außenhandelspolitik / Steuerpolitik / Arbeitsrecht / Handelsbeschränkungen und -hemmnisse /
Bevölkerungswachstum / Altersverteilung / Berufseinstellung / Gesundheitsbewusstsein / Lebensstil / kulturelle Barrieren
Verringerung der Kohlenstoffemissionen / Umweltpolitik / Klimawandel / Druck von NGOs / alternative Energiequellen
Kartellrecht / Diskriminierung / Beschäftigung / Verbraucherschutz / Gesundheit und Sicherheit / LkSG – Lieferkettengesetz / EU-Richtlinie Nachhaltigkeit
Wirtschaftswachstum / Wechselkurse / Zinssätze / Inflation / Arbeitslosenquoten / Verfügbares Einkommen / Arbeitskosten
Künstliche Intelligenz – maschinelles Lernen / präskriptive Analytik / fortschrittliches Datenmanagement / robotische Prozessautomatisierung (RPA) / Robotik
Auf absehbare Zeit werden weder die Herausforderungen weniger noch die Engpässe verschwinden.
Thomas Spiess
Senior Partner, Staufen.INOVA AG
Aktive Überwachung auf allen Ebenen
In dem Maß, in dem Supply Chain Networks wachsen und die Zahl der beteiligten Partner steigt, wird es immer schwieriger, alle Einflussfaktoren und Treiber im Blick zu behalten. Ein Supply Chain Network Risk Management ist deshalb ein Muss, um künftig im Wettbewerb bestehen zu können.
Ein solches Risikomanagement besteht dabei aus unterschiedlichen Elementen, die im Zusammenspiel ihre volle Wirkung entfalten. Gegebenenfalls müssen die Elemente schrittweise eingeführt oder in einem bereits bestehenden Risikomanagement hinzugefügt werden:
Idealerweise umfasst das Risikomanagement-System alle Produkte und Dienstleistungen, die das Unternehmen einkauft und verkauft. Ebenso sollten alle relevanten Lieferanten, Kunden und Partner miteinbezogen werden. Auf diese Weise entsteht ein vollständiger Überblick über potenzielle Störungen und Auswirkungen. Je nach Status des aktuellen Systems ist dieses Vorgehen nicht in einem Schritt möglich. Dann müssen Prioritäten gesetzt und Kriterien für die Auswahl herangezogen werden.
Die Abbildung des gesamten Netzwerks, das „Network Mapping“, ist der Ausgangspunkt, um sogenannte Risiko-Objekte zu erkennen. Das können Niederlassungen, Büros, Fabriken und Distributionszentren sein, aber auch Autobahnen, Häfen, Kanäle und Flughäfen.
Besondere Aufmerksamkeit sollte beim Network Mapping auf das Lieferanten-Netzwerk gelegt werden. Es sollte sich nicht nur auf Tier-1 Lieferanten beschränken, weil die Hälfte der Störungen unterhalb des Tier-1-Levels auftritt. Beschaffung und Auswertung der notwendigen Informationen können dabei sehr aufwendig sein. Maschinelle Ansätze helfen heute aber dabei, die Informationen zu finden, zu analysieren und aufzubereiten.
Durch die Schaffung von Risikokategorien und gegebenenfalls Unterkategorien wird ersichtlich, inwieweit diese Kategorien auf die einzelnen Risiko-Objekte zutreffen. Häufig verwendete Kategorien sind zum Beispiel finanzielle Risiken, operationelle Risiken, Risiken in Bezug auf Markt, Reputation, Naturkatastrophen, menschliches Versagen, Logistik oder Cybersicherheit. Wichtig ist es in diesem Zusammenhang, vor allem die Gefahren zu berücksichtigen, die eine unmittelbare Relevanz für das Supply Chain Network haben.
Die Beurteilung der Risiken erfolgt anhand von zwei Faktoren: Wahrscheinlichkeit und Auswirkungen. Während die Wahrscheinlichkeit bestimmter Risiken häufig anhand historischer Daten bestimmt werden kann, ist es aufwändig, die Auswirkungen abzuschätzen. Eine „one-fits-all“ Lösung existiert nicht. In den meisten Fällen kann jedoch eine kleine Anzahl von Parametern einen guten Überblick geben. Das können sein:
- die Gesamtzeit bis zur Wiederherstellung
- die Substituierbarkeit / der Zeitbedarf zur Verlagerung
- die Verfügbarkeit qualifizierter Alternativen
- die Anzahl der betroffenen Kunden / Märkte
- die Auswirkungen auf Umsatz / Marge / Ergebnis
- einmalige und laufende Kosten für korrigierende Maßnahmen
- Auswirkungen auf das Unternehmensimage
Um festzustellen, ob das Netzwerk gefährdet ist, werden aktuelle und genaue Informationen benötigt, im Idealfall end-to-end über das gesamte Netzwerk. Die Transparenz ergibt sich aus (Echtzeit-)Informationen über den Zustand des Netzwerks, einschließlich der Personen, Geräte, Einrichtungen, Informationssysteme, Bestellungen, Bestände etc. Ohne einen strukturierten Ansatz zum Sammeln, Analysieren und Kommunizieren von Informationen, was im Netzwerk passiert, lässt sich ein sinnvolles Risk Management nur sehr schwer umsetzen. In der Wechselwirkung mit dem Schritt der Risikoidentifikation ist daher immer auch zu bedenken, mit welchen Mitteln und Tools eine Überwachung stattfinden kann.
Durch die Überwachung und Bewertung von Risiken wird die notwendige Transparenz geschaffen, um Aktionspläne zu entwickeln. Aktionspläne basieren in der Regel auf präventiven oder reaktiven Maßnahmen. Ein Präventionsplan zielt darauf ab, Ereignisse zu verhindern. Risikominderung ist der Schlüssel, um beim Risikomanagement proaktiv tätig zu werden. Reaktive Pläne sorgen dagegen für eine schnelle Intervention im Falle des Eintretens eines Risikoereignisses. Jeder Aktionsplan sollte dabei die Verfahren beschreiben, die jeweils beim Eintritt eines bestimmten Ereignisses anzuwenden sind.
Compliance ist einer der wesentlichen Bestandteile des Risikomanagements, dessen Nachweispflichten nicht zu unterschätzen sind. So muss ein Unternehmen zum Beispiel ein vollständiges Bild seines Netzwerks haben, einschließlich aller Materialien, die gekauft werden. Es muss wissen, woher diese Materialien stammen und wie sie verwendet werden. Darüber hinaus muss sichergestellt werden, dass die aktuellen und künftigen Vorschriften in jedem Markt bekannt sind und wie diese für alle Produkte im Supply Chain Network gelten. Diese Prozesse sind laufend zu dokumentieren und die Ergebnisse festzuhalten. Das führt zu ständig steigenden Anforderungen im Unternehmen, zumal auch die Standards für die Berichterstattungen sehr unterschiedlich sein können. Hier kann eine gewisse Automatisierung des Compliance-Reportings den Zeit- und Arbeitsaufwand reduzieren und Synergien schaffen.
In vielen Unternehmen löst das Wort Risiko negative Assoziationen aus. Das Erreichen von Resilienz im Netzwerk erfordert daher eine risikobewusste Kultur. Sie hilft, effiziente Entscheidungen gegen unbekannte Risiken aufzubauen und aufrechtzuerhalten und ermöglicht außerdem, bei einer schweren Krise oder einer operativen Bedrohung schneller zu reagieren. Eine wesentliche Aufgabe für Führungskräfte besteht dabei darin, die Risikotoleranz einer Organisation klar zu definieren und zu kommunizieren. Management und Mitarbeitende müssen sich befähigt fühlen, auch schlechte Nachrichten weiterzugeben aber auch die Informationen zu teilen, wo und wie Risiken erfolgreich und proaktiv begegnet werden konnte.
Nehmen Sie gerne Kontakt zu uns auf
Der Aufbau eines Risikomanagements ist eine dauerhafte Aufgabe für die Unternehmensführung und betrifft alle Ebenen der Organisation. Er sollte unbedingt mit der Digitalisierung entsprechender Prozesse einhergehen. Wir von Staufen unterstützen Sie dabei, sprechen Sie uns gerne an.
Thomas Spiess
Senior ManagerSTAUFEN.INOVA AG
Thomas Spiess hat vielfältige Branchenkenntnisse in den Bereichen Präzisionsindustrie, Luxus-Konsumgüter- sowie Textil- und Modebranche. Neben einer langjährigen Projektleitungs- und Führungserfahrung im Bereich des globalen Supply Chain Management bringt Thomas Spiess auch langjährige Erfahrung aus anspruchsvollen globalen Supply Chain Projekten mit. Unter anderem war er verantwortlich für die Konzeption und den Aufbau eines europäischen Zollfreilagers mit Optimierung der Inbound- und Outbound-Transporte, Produktionsverlagerungen von West- nach Osteuropa und nach Asien mit einer Optimierung des Produktions- und Sourcing-Netzwerkes. Dank der grossen internationalen Führungs- und Moderationserfahrung erzielt Thomas Spiess auch mit interkulturellen Teams sehr gute Resultate. Seit Ende 2015 ist Thomas Spiess bei der Staufen.Inova AG als Berater tätig.
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